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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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eine andere Gegend erwartet. Zu leer, die Straße. Keiner, der einer Verfolgerin Deckung gab. Trudi schaute ihm nach, bis er ganz klein im Beton verschwand, und kehrte um. Ihr fehlte noch der Mut, auffällig zu werden. Sie hatte gerade erst angefangen, hinter Männern herzugehen.

Tu mir das nicht an«, sagte Jos. Er schob die Fotos von sich, nahm die Schale, die Georg mit Tee gefüllt hatte, stand auf und ging zum Fenster. »Da drüben ist ja jemand eingezogen.«
    »Die Kinder haben das leben müssen«, sagte Georg, »da ist es dir zuzumuten, eine Minute draufzugucken.«
    »Du und ich haben ein ziemlich lustiges Kinderbuch gemacht.« Jos guckte noch immer in das Haus gegenüber und drehte sich auch nicht um, als er Georgs Seufzen hörte. »Das da hauen die uns um die Ohren. Die haben alle gerade die kleinen Kurden gesehen, die vor sich hin krepierten, und dann kommen wir und krampfen uns auch noch das große Grauen ab.«
    »Es soll keine Dokumentation der jüngsten Greuel sein«, sagte Georg.
    »Nur die Geschichte vom einsamsten Kind auf Erden.«
    »Es wird Rache nehmen.«
    »Was denkst du, was ich dazu zeichnen soll?«
    »Darum zeige ich dir ja die Fotos.«
    »Warum habt ihr eigentlich keine Kinder?« fragte Jos.
    »Ich glaube, Trudi wäre wild darauf.«
    »Ist sie auch«, sagte Georg. Er sammelte die Fotos ein und legte sie in den Ilford-Karton.
    »Schläfst du nicht mit ihr?«
    »Doch«, sagte Georg.
    »Ich dachte schon, ihr tut es nicht mehr.«
    »Seh ich so verhungert aus?«
    »Du siehst aus wie immer.« Jos sah zu Georg hin. »Trudi ist es, die mir Sorgen macht.«
    Georg schüttelte den Kopf. Er griff nach der Kanne, die auf einer Keramikplatte stand, pustete die Kerze darunter aus, goß den zu schwarzen Rest Tee in seine Schale und gab Milch dazu. »Trudi fehlt nichts«, sagte er, »sie hat nur zu viel Zeit.«
    »Mach ihr ein Kind, oder kauf ihr ein Revuetheater.«
    »Hör auf«, sagte Georg. »Nimmst du die Fotos mit?«
    »Nein«, sagte Jos, »ich brauche keine Gedankenstütze. Ich habe leider ein gutes Gedächtnis.« Er stellte die Schale auf den Tisch und horchte auf das Geräusch hinter der geschlossenen Zimmertür. »Ist Trudi gekommen?«
    Georg nickte. »Sie soll noch nichts vom Singenden Kind wissen«, sagte er.
    »Ich spreche liebend gern über was anderes.«
    »Ißt du mit uns?«
    »Ich bin verrückt auf dein Gemüse.«
    »Du kannst auch zu McDonald's gehen.«
    »Ich meine es ernst«, sagte Jos.
    »Dann kaufe ich noch schnell ein.«
    »Denkst du nicht, daß Trudi das getan hat? Sie war den ganzen Nachmittag verschwunden. Da wird sie doch was vollbracht haben.«
    Georg zuckte die Achseln. »Sie hat nichts anderes als neue Liebesromane aus der Leihbücherei in der Tasche.«
    »Du traust Trudi zu wenig zu«, sagte Jos.
    »Was soll ich ihr denn zutrauen?« fragte Georg. Er nahm die Brille ab, drückte die Hände an die Stirn und begann mit den Daumen die Schläfen zu massieren. Es strengte ihn an, ruhig darauf zu warten, daß Trudi endlich ins Zimmer kam.
    Es war Trudi, die einkaufen ging. Den Fenchel. Die Champignons, um ihn zu füllen. Georgs Zettel holte sie gar nicht erst aus der saumtiefen Tasche ihres Leinenmantels. Zwiebeln. Obst. Keine Erdbeeren, hatte Georg gesagt, wir essen noch Winteräpfel, Trudi, hast du verstanden? Trudi kaufte ein Kilo Boskop. Sie vergaß die Zitronen, die auch auf dem Zettel standen. Die Teewurst, die sie schon im Korb hatte, legte sie zurück in die Kühltruhe. Doch sie nahm die eingeschweißten Scheiben Hähnchensülze, die ihr weniger sündig waren und auch einfacher zu essen für den, der heimlich aß, zwischen zwei Schranktüren stehend. Vor der Kasse kehrte sie um, machte die Wende zur Kühltruhe und holte die Wurst heraus. Sie wollte die Schweinerei wagen. An der Kunststoffhaut zutzeln und die Masse in ihrem Mund haben, ehe eine Spur davon an den Händen klebte. Georg würde wieder an der Schreibmaschine sitzen, wenn Jos gegangen war, und sich nicht um ihr Tun kümmern können.
    Als Trudi in ihre Straße kam, sah sie an den Kastanienbäumen Knospen, die ihr ganz neu schienen, gerade erst aufgesprungen. Vor dem Haus stand der alte Citroën von Jos. Trudis Vater hatte einen solchen in den sechziger Jahren gefahren, und die achtjährige Trudi durfte frei von Sicherheitsgurten auf den Sitzen turnen, an der Scheibe kurbeln und kindlichen Unsinn in den Fahrtwind schreien. Apfelschimmel und Birnenrappen! Billig abzugeben!
    Die Knospen, das alte Auto und der Gedanke an das
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