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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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Spüle fallen und packte es aus. Vor ihm lag mindestens ein Pfund faulendes Fleisch.
    Jos hatte nie versucht, eine Frau festzuhalten. Er ließ sie alle gehen. Trieb sie lieber davon, als auf ihr Bleiben zu hoffen.
    Als Jos vier Jahre alt gewesen war, und seine Mutter gerade über alle Berge, hatte er sich vorgestellt, daß Inge Verwey ein Säckchen mit weißen Kieseln bei sich habe, um sie fallen zu lassen und ihm den Weg zu weisen. Er hätte nur einen finden und dann ihre Spur aufnehmen müssen.
    Er hatte lange nicht mehr soviel an Inge Verwey gedacht wie in den letzten Tagen. Er begann sogar wieder, an einem Bild von ihr zu malen. Doch es mißlang wie die anderen Versuche vorher und sah Trudi ähnlicher als dem Foto seiner Mutter.
    Jos hatte auch Dott nicht gehalten. Sie war bald nach der Abtreibung gegangen, und er hörte nichts mehr von ihr, und trotzdem stand sie noch immer zwischen ihm und Georg. Sie ließen es nicht sein, um Dott zu kreisen. Engere Kreise zu ziehen und sich dabei zu zerfleischen, und keiner wußte noch, was wirklich gewesen war.
    Jos hätte sich gern genau erinnert. An das Geschehene und nicht an die Dunstfetzen, die daraus geworden waren. Er hätte es am liebsten aufgeschrieben, um Wort für Wort mit Georg durchzugehen und die Wahrheiten gegeneinander aufzuwiegen. Vielleicht ließen Georg dann auch die Wahnvorstellungen los.
    Neben dem Bild von Inge Verwey lehnte die Zeichnung vom Auszug der Kinder und war schon längst retuschiert. Doch Jos konnte sich nicht entschließen, sie endlich abzuliefern. Die Liebe zu Georg war die längste in seinem Leben gewesen.
    Georg hatte das faulende Tatar in einer der Tonnen versenkt, die im Keller standen. Zusammengeschnürt in dicke Schichten Zeitungspapier. Doch der Leichengeruch klebte ihm noch an den Händen, als er in die Wohnung zurückkam. Georg wusch sich gründlich und dachte daran, den Schrank von Trudi heiß auszuwaschen. Mit Sagrotan. Dabei war Grete Fortgang gerade aus seinem Leben gegangen.
    Er zog den Anorak an und auch die Kapuze über und nahm trotzdem noch den Schirm mit, um sich dem Regen zu stellen und die größte Flasche Desinfektionslösung heranzuschleppen, die im Handel war.
    Der Ekel stieg noch mal in ihm hoch, als er an der Schlachterei vorbeikam und die Schweinehälfte an einem Haken hängen sah. Trudi kam ihm vor wie die Triebtäter, von denen er soviel gelesen hatte. Zerstückelten ihre Opfer und kochten und aßen sie.
    Die Vorlieben der Täter. Nicht zu dick durften die Opfer sein. Eine zarte junge Haut haben. Lauter Ästheten. Georg dachte an Dott und wußte im ersten Augenblick nicht, warum, und als er es wußte, versuchte er jeden weiteren Gedanken abzuwehren.
    Er wollte sich nicht erinnern. Nicht an dieses Gespräch mit Dott, das er so tief vergraben hatte. Diese zufälligen Assoziationen holten es hoch. Wollten ihn fertigmachen.
    Die Lächerlichkeit, der er damals preisgegeben wurde. Dott, die ihm an die Schenkel griff und in das viel zu weiche Fleisch kniff. Die Festigkeit von Jos' Körper pries. Der schmächtige Georg. Steife Knochen. Obwohl er doch auch erst fünfundzwanzig war.
    Dott hatte getan, als sei er ein alter Mann. Fahl und müde. Er hatte nach Dott vergeblich versucht, einen anderen aus sich zu machen.
    »Fleisch gibt Blut«, sagte Trudi. Sie stand vor dem Schreibtisch und hatte noch den Mantel an und eine Tüte in der Hand. Schaute auf den Fetzen rosa Schlachterpapier, den Georg ihr hinhielt. Auf die Summe aus zwei Beträgen. Von einem stumpfen Bleistift zusammengeschrieben. »Ich habe es ja nicht gegessen«, sagte sie.
    »Und das andere?« Georg zeigte auf die Zahlen. »Rohe Leber vielleicht? Oder Hirn? Hast du alles schon verschlungen?«
    »Was ist mit deinen Händen?« fragte Trudi.
    »Aufgeweicht«, sagte Georg, »wund geworden in der heißen Lauge, mit der ich deinen Schrank ausgewaschen habe.«
    »Du warst an meinem Schrank?«
    »Wenn du daraus eine Leichenhalle machst.« Der Schrank hatte keine großen Erkenntnisse gebracht. Das Unterteil einer Schachtel, in der wohl mal Schmierkäse gewesen war. Das Foto einer Schönheit aus den fünfziger Jahren. Offene Lippen und große Zähne. Ein Bild wie aus den Schaukästen der Bars, die sein Vater aufgesucht hatte. Trudi ließ die Tüte fallen und zog den Mantel aus. Dachte, daß sie keinen Platz mehr auf der Welt hatte, wo sie geborgen war. Sie sank auf das Sofa und sah das Foto der Weil an der Schnur hängen.
    »Hast du Fleisch gegessen?«
    Trudi schüttelte
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