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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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auch übersehen.«
    »Ich kriege schon wieder was Entscheidendes nicht mit.«
    »Hast du Trudi dein Pflaster gezeigt?«
    »Wann sollte ich?«
    »Hat sie es sogar abgeschnitten?« fragte Georg. »Durch die entzückenden Babys durch? Das hat ihr sicher den Rest gegeben. Trudi ist so empfänglich für Kleinigkeiten.«
    »Hör auf, den Zyniker zu spielen«, sagte Jos, »er steht dir einfach nicht.«
    »Was steht mir schon? Die Hörner, die du mir aufsetzt?«
    »Ich bin Trudi das letzte Mal vor ein paar Tagen zufällig in der Stadt begegnet«, sagte Jos und wußte selber nicht, warum er sich verteidigte.
    »Ihr zeigt euch schon in der Öffentlichkeit?«
    »Du läßt mich ein Leben lang büßen, daß Dott mich gegriffen hat.«
    »Das war doch nur ein verdammter Test«, sagte Georg. »Sie sollte sich in meine Arme werfen und da für alle Zeiten bleiben.« Er war überrascht von der Erkenntnis.
    »Ich nehme die Zeichnung noch mal mit und retuschiere sie«, sagte Jos. Er konnte nur wünschen, daß die endgültige Übergabe des Werkes besser klappte. »Das ist meine letzte Tat für dich.«
    »Was soll das heißen?«
    »Daß ich das alles nicht länger aushalten kann«, sagte Jos.
    Georg nickte. »Ich nehme das als dein Eingeständnis«, sagte er, »es ist schwer, mit dem eigenen Verrat zu leben.«

Georg war sechs Jahre alt gewesen, da hatte er seine Hoden wieder vorgeführt. Auf Drängen des Arztes, der an der Schultauglichkeit zweifelte und ihn für zu schwächlich hielt. Georg erinnerte sich an den langen Gang im Krankenhaus. Die Bank, die aus zwei Böcken und einer Latte bestand und leicht ins Wippen kam. Die Frauen und Kinder, die sie besetzten und nur für Grete Fortgang noch einen Platz an der Kante fanden. Das endlose Warten.
    Georg hatte auf einer hohen Fensterbank gesessen und brav die Beine still gehalten und die losen Blätter der Zimmerlinde aufgesammelt, die neben ihm stand. Er hatte ihnen das Grün von den Rippen gezogen. Sie behutsam skelettiert.
    Auf der Bank war ein steter Wechsel gewesen. Nur ihren Namen rief keiner auf. Georg fror und fing an zu niesen. Die Kälte der Fensterbank kroch ihm in die Hosen.
    Grete Fortgang hatte sich in ein Gespräch ziehen lassen. Obwohl sie ungern mit Fremden sprach. Georg hörte ihre Stimme und ließ das Gesagte an sich vorbeilaufen. Bis er den Finger sah, der auf ihn zeigte. Den Finger der Frau, die mit seiner Mutter sprach.
    Ein angenommenes Kind, hörte er Grete Fortgang sagen. So viel Kummer damit. Nie wieder.
    Georg hatte seinen Schrecken verborgen gehalten und nicht zu fragen gewagt und erst viel später die Aufklärung gesucht und die Geburtsurkunde gefunden. Gelesen, daß ihn Grete Fortgang am 29. Oktober 1953 um fünf Uhr morgens geboren hatte. Doch da wäre es ihm schon kein Unglück mehr gewesen, nicht ihr Kind zu sein.
    »Ich bringe dir deine Krankenakte«, sagte Grete Fortgang, »Und den Fotoapparat deines Vaters. Vielleicht willst du den auch verkaufen.«
    Georg war zu überrascht, um darauf etwas zu sagen. Er hatte Jos erwartet. Die retuschierte Zeichnung. Nicht seine Mutter, die mit einer Einkaufskarre vor der Tür stand.
    »Das Album mit deinen Kinderfotos ist auch hier.«
    »Was soll das? Löst du deine Wohnung auf?«
    »Ich will nur einen Strich ziehen«, sagte Grete Fortgang und ließ sich in die Küche lenken. »Ich behalte meinen Mantel an.« Sie stellte die Tasche auf den Tisch. »Du kannst auch noch ein HJ-Abzeichen haben.«
    »Behalte es lieber.« Georg setzte sich hin und nahm das Album, das sie ausgepackt hatte. Auf dem ersten Foto sah er aus wie eine Frühgeburt.
    »Ich weiß noch, daß ich mich gefreut habe, als du geboren wurdest. Ich wollte einen Sohn.«
    »Und dann?« fragte Georg. »Was ist dann so schiefgegangen?« Er blätterte das Album durch und blickte auf Georg, der eine Schultüte trug. Spät eingeschult. Siebeneinhalb war er gewesen.
    »Du warst nicht der Sohn, den ich mir gewünscht habe.« Grete Fortgang sank auf einen Küchenstuhl. »Skorpione sind sonst so durchsetzungsfähig.«
    »Ich weiß«, sagte Georg, »ich bin ein Versager.«
    »Ja«, sagte seine Mutter, »obwohl du gut in der Schule warst.«
    »Und darum ziehst du einen Strich und streichst mich aus deinem Leben.« Georg war geschockt. Obwohl er seine Mutter schon vor ein paar Tagen gestrichen hatte.
    »Ich habe die Sachen beim Saubermachen gefunden. Nachdem du die Anzüge abgeholt hast.«
    »Ich dachte, du hattest ein Kaffeekränzchen.«
    »Vorher habe ich den Schrank
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