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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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Trudi.
    »Hat dich Jos zu McDonald's geschleppt?«
    Trudi schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Lust, länger Dementis zu geben. Georg schien krank zu sein. »Warum sammelst du all die schrecklichen Fotos?« fragte sie.
    Georg stellte die Pfanne, die er über dem Müll hatte schweben lassen, auf die Herdplatte zurück. »Du hast herumgeschnüffelt.«
    »Darf ich mich nicht mehr deinem Schreibtisch nähern?«
    »Material für meine Arbeit«, sagte Georg. Er hatte Trudi schon viel zu oft damit abgespeist. Er wußte es. Doch er konnte es nicht ertragen, mit ihr über die Kinder zu sprechen.
    »Du hast uns den Tod ins Haus geholt«, sagte Trudi, »darum habe ich auch das Kind verloren.«
    »Setz dich.« Georg drückte sie auf einen der Küchenstühle. Trudi schien krank zu sein. »Da ist ein Blutspritzer auf deiner Bluse«, sagte er, »hast du dich verletzt?«
    Trudi sah auf die Bluse hinunter. Die Spur des Thüringer Metts. »Nein«, sagte sie, »ich weiß nicht, woher er kommt.«
    »Dann bist du also sicher, daß du schwanger warst?«
    Trudi war wieder hingefallen heute nachmittag. Cilly Weil hatte ihr kein Bein stellen müssen. Trudi kannte nun den Part. Um Gottes willen, hatte die Weil gerufen, wenn das nur dem Kind nicht schadet. Die Köpfe hatten sich über Trudi geschoben.
    Bei Karstadt ist auch eine Schwangere hingefallen, und als sie aufstand, fand keiner mehr sein Portemonnaie. Einer der Köpfe hatte das gesagt, und Cilly Weil zog gerade noch die Hand zurück.
    »Gib mir eine Antwort«, sagte Georg, »bist du wirklich sicher, daß du schwanger warst?«
    Trudi fing an zu weinen.
    Trudi träumte, daß Georg durch einen Berg Kinder kroch. Er schob sie beiseite, und sie rollten hinunter, und der Berg wurde immer breiter und war schließlich ein See, und Georg schwamm durch den See von Kindern und ruderte mit den Armen und rief nach Trudi.
    Sie stand am Ufer und versuchte, die Kinder an Land zu ziehen. Doch sie glitten ihr aus den Händen und wurden zurück in den See getrieben. Trudi konnte kein einziges halten.
    Dann hörte sie Georg. Ich hab es, rief er. Ich hab es. Und er schwamm an Land und hatte ein Kind im Arm, und es war ihr Kind, und es hatte ein ganz rundes Köpfchen und helles Haar.

Jos schickte Goldie nach Hause. Gab ihr die letzte Flasche Wein mit. Er hatte sonst nicht viel zu geben in diesen Tagen.
    Goldie schlich die Treppe hinunter, und Jos schaute hinter ihr her und ging ins Zimmer zurück. Griff sich das Bild, das heute fertig geworden war, und stellte es an die Wand. Drückte die weiche Ölfarbe gegen die Tapete. Sollte alles verschmieren. Er hatte Trudi malen wollen. Den Hunger in ihrem Gesicht. Als versuche sie, die Zähne in ihr Leben zu schlagen und nicht in eine Currywurst. Doch Jos hatte Georg gemalt, und das überraschte ihn.
    Er schmiß sich auf das Bett und legte das Küchenmesser neben sich und ein Stück knochenharte Salami. Trank den einzigen trinkbaren Alkohol, den er im Haus hatte, gleich aus der Flasche. Der Gin war lauwarm. Die Lösungsmittel konnten kaum schlimmer schmecken.
    Jos glitt mit dem Messer ab, als er die Haut von der Salami zog. Er steckte den blutenden Daumen in den Mund und stand auf. Holte den Schuhkarton, in dem er die Salben und Hustensäfte aus zehn Jahren aufbewahrte, und stellte ihn auf die Zeichnung vom Auszug der Kinder, die noch immer auf dem Küchentisch lag.
    Das Pflaster hatte Jos mal in Holland gekauft. Um es Trudi zu schenken. Bunte Streifen mit Babys drauf. Erbsgroßen Babys. Er hatte es dann zu albern gefunden und in den Karton getan.
    Jos dekorierte den Daumen mit den Babys und schob den Schuhkarton zur Seite. Er sah auf die Zeichnung und bekam Angst vor der Welt ohne Kinder. Der Auszug war ihm wirklich gelungen.
    Sollte Georg die Zeichnung haben. Jos ging ins Zimmer hinüber und legte sie in seine Mappe. Das Werk vervollständigen. Er war bereit, Georg dieses Abschiedsgeschenk zu machen.
    »Die Zeichnung ist gut. Gehört der Blutspritzer dazu?« Georg zog die Brauen hoch und hoffte, hochmütig auszusehen. Doch er sah aus, als sei er zu stark geliftet worden. Jos ließ die Schnur los. Die drei Bilder, die daran hingen, schwangen leicht aus. »Ist da ein Blutspritzer?«
    »Ein Teil deiner künstlerischen Aussage.«
    »Quatsch.« Jos kam zu Georgs Schreibtisch. »Das Blut aus einer gewöhnlichen Schnittwunde«, sagte er und zeigte den Daumen. »Das Bild hat daneben gelegen, als ich mich verpflastert habe.«
    »Den Spritzer auf Trudis Bluse habt ihr
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