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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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den Kopf.
    »Ihr seid alle Verräter«, sagte Georg.
    »Eine Freundin hat es mir gegeben.« Trudi guckte auf die Tüte, die zu ihren Füßen stand. »Neues Blut«, sagte sie, »ich habe so viel Blut verloren.«
    »Du hast doch gar keine Freundin.« Er traute es Jos zu, ihr ein Pfund Tatar zu geben. Der andere Posten war wahrscheinlich seine geliebte Salami gewesen.
    Trudi stand auf und ging zu der Schnur. Zog die Wäscheklammer von der Weil und warf sie ihm hin. »Da ist sie«, sagte Trudi.
    Georg lächelte mühsam. »Traumbilder«, sagte er, »du erfindest dir deine Freunde. Was soll nur aus dir werden.«
    »Traumbilder sind immer noch besser als die Wirklichkeit.« Trudi hatte keine Lust, für die Wahrhaftigkeit der Weil einzutreten. Sollte Georg glauben, sie hätte das Bild vom Trödler.
    »Du deckst ja nur Jos damit«, sagte Georg und hätte ihr beinah eine Trennung vorgeschlagen. Doch er hatte zu große Angst, daß sie darauf einging. Solch ein Test war ihm schon mal danebengegangen.
    »Sie sagt, ich solle zu einem anderen gehen, wenn du keine Kinder machen kannst.« Trudi lachte ein helles Glockengeklingel und imitierte die Weil damit. Sie wußte nicht, warum sie Georg das jetzt antat. Sie hatte Cilly Weil gehaßt dafür.
    »Du lügst.« Georg starrte Trudi an und versuchte gleichmäßig zu atmen. Er dachte, sein Herz bleibe stehen. »Du willst deinen Abgang zu Jos vorbereiten«, sagte er.
    Trudi ging zum Sofa und griff die Tüte. Ganz hinten im Kühlschrank ließ sich sicher ein Versteck für die Bratwürste finden.
    »Wie gut, daß Sie ein Kleid anhaben«, sagte die Weil, »wir werden in eine Kirche gehen.« Sie trug das schwarze Seidenkleid, in dem Trudi sie zum erstenmal gesehen hatte, und war gerade dabei, den Kopf eines Fuchses unter ihr Kinn zu drapieren.
    »Ich war auf Einkaufszentrum eingestellt.«
    »Dann stellen Sie sich jetzt auf den lieben Gott ein. Ich habe eine herrliche Hochzeit für uns ausgesucht.«
    »Das ist zu schäbig«, sagte Trudi.
    »Sie glauben, in einem Kaufhaus ist es weniger schäbig?« Cilly Weil drehte sich um und musterte Trudi. »Sie sollten die Straßkette ablegen. Sie ist wirklich nicht glaubhaft, und wir haben es mit der feinsten Gesellschaft zu tun.«
    »Nein«, sagte Trudi. Die Kette schien ihr noch das einzige zu sein, das zu ihr gehörte.
    »Sie werden auch wieder die Schwangere geben.« Die Weil lachte. »Das kommt dort ganz besonders gut an.« Sie strich Trudi über die Wange und hatte schon den Verschluß der Kette geöffnet. »Stecken Sie sie in die Manteltasche. Ich habe ein Kreuz für Sie.«
    Trudi nahm das Kettchen mit dem Kruzifix. Christus sah daran aus wie eine welkende Schlingpflanze.
    »Es hat alle Ausverkäufe überstanden«, sagte Cilly Weil. »Ich war ein frommes Kind. Es ist nur schade, daß sie uns das Beten so gründlich beibringen, und dann macht man die Erfahrung, daß es gar nicht funktioniert.«
    »Wer heiratet denn?« Der Gedanke an die Hochzeit trieb Trudi die Tränen in die Augen. Sie hätte gern in der Kirche geheiratet.
    »Der Täter sollte das Opfer nicht zu gut kennen«, sagte die Weil, »nicht bei diesen Delikten.«
    »Was soll ich tun?« fragte Trudi.
    »Sie fallen einfach nur um.« Cilly Weil lachte. »Die Herrschaften werden sich dann schon über Sie beugen, und den Rest erledige ich. Wir werden ganz wunderbare Beute machen.«
    Georg sah auf den alten Wecker, den er sich auf den Schreibtisch gestellt hatte. Gleich würde der Zeiger auf die Zwölf ziehen. Gleich war tiefe Nacht und Trudi noch nicht zu Hause.
    Das Telefon läuten lassen. In die Unendlichkeit von vierzig Quadratmetern hineinläuten. Jos, der ein Kissen nahm und das Telefon erstickte. Trudi, die mit der Hand über das Laken glitt, dahin, wo eben noch Jos gelegen hatte.
    Geisterstunde. Gespenster zeigen sich dem, der bereit ist, zu sehen. Georg, der selbstquälerische Seher. Er griff in die Luft, das Gespenst zu zerstäuben, und holte den nächsten Wahn heran.
    Locken. Die dunklen Locken von Jos. Trudis Goldspäne. Liegen nebeneinander. Liegen aufeinander. Liegen zu nah, um sich nicht zu verwickeln. Schmerzhaft zu verwickeln. Bis sie sich ineinander eingesponnen haben. Untrennbar sind und aussehen wie der ausquellende Inhalt einer aufgeschlitzten Matratze.
    Georg schüttelte sich wach. War weggesackt. Wunderte sich, daß er nicht schlaflos war in dieser Nacht ohne Trudi. Er stand auf. Holte die Steppdecke, unter der schon seine Eltern gelegen hatten. Legte sich auf das Sofa und
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