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Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Autoren: Ulf Schiewe
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vorsichtig auf die Füße, hielt mich aber fest am Nacken, während er Befehl zum Aufbruch gab. Später sollte ich mich noch oft an diese erste Begegnung mit Robert de Hauteville erinnern, den man das Schlitzohr nannte, Robert Guiscard.
    *
    Von dem langen Ritt ist mir wenig im Gedächtnis geblieben, außer dass Robert mich zu sich aufs Pferd setzte, dass die Nachtluft bitterkalt war und dass ich die meiste Zeit still vor mich hin weinte. Irgendwann musste ich eingenickt sein, denn meine nächste Erinnerung ist die an eine große Frau, die mich, fest an ihren üppigen Busen gedrückt, frühmorgens ins Haus trug, in Decken hüllte und an den warmen Herd setzte. Dabei schimpfte sie ausgiebig über die Herzlosigkeit ihres Männervolkes.
    Sie hieß Fressenda, war Roberts Mutter und ein ansehnliches Weib von gutem Normannenblut, breiten Hüften und Haaren so gelb wie reifes Korn. Eine Frau, die zupacken konnte, wie ich bald erfahren sollte, die mit Verstand und einer scharfen Zunge gesegnet war, unter der sich selbst Roberts Vater duckte, wenn sie ihn damit geißelte. Ihrem Tancred de Hauteville, nun schon Mitte fünfzig, war sie ein gutes Weib. Um ihn und die zwölf Söhne kümmerte sie sich ebenso hingebungsvoll wie um die Knechte und Mägde der Burg und um die Bauern aus dem Dorf. Sie hatte ein Herz groß genug für alle, selbst für mich fand sich noch ein Plätzchen darin.
    »Wie heißt du?«, fragte sie mich.
    Noch voller Furcht und Hass, wollte ich ihr nicht einmal ins Gesicht sehen, geschweige denn antworten. Sie machte sich nichts daraus, flößte mir heiße Milch mit Honig ein und rieb mir die Füße warm. Dabei redete sie unablässig und schalt mich sanft, als wäre ich ein dummer kleiner Junge, der aus Unvernunft in den Dorfteich gefallen war.
    »Brynjarr«, murmelte ich nach einer Weile widerwillig.
    »Was?«
    »Brynjarr.«
    »Heißt du so?«
    Ich nickte finster und wischte mir die Nase.
    »Mag ich nicht«, sagte sie. »Das kriegt ja keiner über die Lippen. Bestimmt so ein Piratenname.«
    Piraten waren für sie alle Seefahrer aus dem Norden, die mit ihren Schiffen an die Küste kamen, um Handel zu treiben, und nicht selten, um zu plündern. Dabei vergaß sie gern, dass sie selbst von solchen Leuten abstammte.
    Sie überlegte einen Augenblick. »Wir hatten einen Knecht hier, weißt du. Ein guter Kerl. Der ist vor einer Weile gestorben. Und der hieß Gilbert. Ich werde dich nach ihm benennen. Das passt besser zu dir. Bist du eigentlich getauft?«
    Ich sah sie nur mit großen Augen an.
    »Ach, und selbst wenn …«, meinte sie und zuckte mit den Schultern. »Dann taufen wir dich eben noch mal.«
    Und so wurde aus mir Gilbert. Obwohl ich meinen richtigen Namen all die Jahre nicht vergessen habe, denn er ist das Einzige, das mich noch mit meiner Kindheit und meiner Mutter verbindet. Doch Gilbert ist ein rechter Normannenname, und ich bin nicht unzufrieden damit.
    Es sollten zwölf Jahre werden, die ich auf dem Besitz der Hautevilles verbrachte. Fressenda ließ mich mit der Zeit meinen Hass vergessen und wurde so etwas wie eine zweite Mutter. Nicht, dass ich verwöhnt wurde. Die Ländereien der Hautevilles waren nicht besonders ausgedehnt und das Leben wenig üppig. Zu viele Mäuler mussten gestopft werden. Anfänglich durfte ich die Gänse hüten, später die Schweine. Daher mein Spitzname, Gilbert Porchon, der Schweinehirt.
    Die Schweine wären mir fast zum Verhängnis geworden, als ich mich zum ersten Mal in den Koben wagte. Ich wollte gerade eines der neugeborenen Ferkel auf den Arm nehmen, als mich die Sau anfiel, von den Beinen riss und sich wütend in mich verbiss. Fressenda packte mich am Kragen und zerrte mich außer Reichweite, bevor das Tier mich umbringen konnte. Die Narbe auf meiner Wange ist bis heute sichtbar.
    Fressenda duldete keine Müßiggänger. Da war ich keine Ausnahme. Doch mein Vorrecht gegenüber den Knechten war, dass ich von ihr wie ein Sohn behandelt wurde und mit den Herrschaften am gleichen Tisch essen durfte. Manchmal steckte sie mir heimlich ein Stück Wurst zu und nannte mich ihren hübschen Piratenbub. Und vor dem Osterfest der Christen, wenn sie allen Männern der Familie der Reihe nach die Haare schnitt, durfte auch ich nicht fehlen.
    Nach einer Weile gewöhnte ich mich an mein neues Leben und verlor selbst vor Robert meine Angst. Er hatte oft ein gutes Wort für mich, nahm mich sogar gelegentlich auf einen Ausritt mit. Gewiss nicht aus Reue, denn das hätte nicht seinem Wesen
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