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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind
Autoren: R Schrott
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mittlerweile auch Zeitungen verkaufen. Was Dušan mit seinem Bruder nach der Unabhängigkeit aufgebaut hat, ist ein Imperium geworden, für das sie sich von überall das Know-how holen, Logistik und Betriebsberatung samt den Managern, die nominell solchen Big Shots zu assistieren haben. So aber bringen wir zumindest Kultur in dieses Land – Verlage gab es hier ja kaum, bis die Zeitungen kamen. Und die haben nach dem Vorbild der Italiener Klassikereditionen auf den Markt geworfen, in Form von Beilagen oder Abonnementprämien. Der Vertrieb über die Trafiken ist ein einmaliger Geniestreich – so erzielen wir einen dreißigmal höheren Absatz.
    Er las mir meine Reaktion vom Gesicht ab. Man darf kein Snob sein, meinte er; nur so erreichen wir ein Publikum. Während ich noch meine Gedanken zu ordnen versuchte, ernüchtert von diesen Ausführungen, fragte Kim nach, ob dies nun bedeute, dass meine Arbeiten in Form billiger Massenware in Umlauf kämen? Sie sollten nicht von der Vertriebsmöglichkeit auf die Ausstattung schließen, antwortete er; ich zeige ihnen ein paar Exemplare unserer Klassikeredition.
    Wozu wollen Sie dann meine Arbeiten?, brachte ich heraus; da hätten Sie doch gleich die Fotovorlagen vervielfältigen können. Das sind doch, stotterte ich, das sind doch… Originale.
    Der Verleger zog nur langsam seinen Blick von Kim ab, legte den Kopf auf die Seite und sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Sie unterschätzen den Anspruch, den man auch hier an die Künste stellt, antwortete er trocken, stand auf und ging hinüber ins Haus.
    Ich habe dir doch gesagt, meinte Kim, dass da etwas faul ist. Das ist die Zigarettenmafia, die hier die Zeitungen finanziert, um damit die Politiker in der Hand zu haben; wenn sie Bücher machen, dann um sich mit fremden Federn zu schmücken. Schau bloß, dass du zu deinem Geld kommst, sagte sie halblaut, da der Verleger elastischen Schritts gerade wieder zurück auf die Terrasse kam, drei dünne Bücher in der Hand schwenkend. Ich blätterte sie lustlos durch.
    Wenn Sie das in diesem Format drucken, wandte ich ein, wird von meinen Arbeiten kaum etwas zu sehen sein; dafür sind die Details viel zu fein. Dazu sind die Tafeln auch nicht vorgesehen, gab er zurück; sie sind ein Geschenk für den Präsidenten. Den Präsidenten ihres Konsortiums? Nein, den Staatspräsidenten.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Was hatte all dies mit dem Staatspräsidenten zu tun? Und warum war man ausgerechnet auf mich gekommen, um ihm Geschenke zu präsentieren? Es gab doch sicher genug kroatische Künstler, die das ebenso gut gekonnt hätten? Auf was hatte ich mich da eingelassen?
    Zumindest begriff ich jetzt, weshalb ich einige sehr kuriose Bildtafeln mir völlig unbekannter Sternbilder hatte anfertigen müssen, von dem einen, übergroßen Schaubild ganz zu schweigen. Da war ›Cäsars Thron‹, zu dem Augustus unser Kreuz des Südens erhoben hatte. Am Rande des Schlangenträgers waren die nach dem polnischen König Stanislaus II. benannten ›Stierhörner‹; am Fuß des Orion lag das ›Brandenburgische Szepter‹; und zwischen Cassiopeia und Andromeda stachen die ›Insignien Ludwig des XIV.‹ hervor, die später durch die ›Ehre Friedrichs‹ – Krone und Schwert samt Lorbeeren – übermalt worden waren. In den Klauen des Adlers wiederum hing das Sternbild von Hadrians Bettsklaven Antinoos, der vor dessen Augen in den Nil sprang.
    Es ging um Macht. Je verbrämter, desto offensichtlicher. Und immer auch um Schuld, die man wie Hadrian dadurch abzubüßen versucht, indem man sein Opfer nach vollendeter Tat in den Himmel hebt.

SIEBEN
    Beim Aufzeichnen ist mir manchmal, als würde ich zu dir sprechen. Eine Antwort erhält man dadurch nicht; es bleibt ein Reden über die Zeit hinweg.
    In unserem letzten gemeinsamen Jahr hättest du längst mit dem Sprechen begonnen haben sollen, Silben und aufgeschnappte Wörter so miteinander zu verbinden, wie du einen Fuß vor den anderen zu setzen gelernt hast – doch wenn du deine Stimme hobst, dann nur, um nicht zu schweigen. Ich sah an deinem Blick, den Bewegungen deiner Hand oder wenn du stehenbliebst, dass du jedes meiner Worte verstandst; es war eine Sprache der Augen, die ich von dir lernte, eine Grammatik von Brauen, Lidern und Pupillen, die hunderte von Dingen umfasste, um eines auszudrücken: das Bedingungslose der Liebe. Dein Babbeln aber gabst du deshalb nicht auf. Du maltest Laute in einem ganz eigenen Ton, verschliffene J’s, stimmlos kehlige
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