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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind
Autoren: R Schrott
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gezeichnet, den deine Mutter bald darauf von mir verlangte.

NEUN
    In einem ähneln sich Bilder und Geschichten; beide kaschieren sie die Zufälligkeiten, mit denen sich isolierte Punkte zu scheinbaren Konstellationen verbinden.
    Die steigende Sonne drückte mir auf die Augen, dass ich gegen das Licht die Adern meiner Lider sah und helles Lachen hörte. Eine Katze lag an der Mauer, ihr feines Fell wie magnetisiert, die Spitzen rötlich leuchtend. Meine Schritte schreckten sie auf; ich ging ihr nach in den Garten, wo eine Schaukel rhythmisch quietschte, und sah Milan und ein Mädchen. Nach jedem Schwung fing er das Brett ab, legte sich ihr blau gepunktetes Kleid beim Aufschwung wieder eng an, der Rücken gleichsam vom Wind getragen. Er nickte mir zu, ich lächelte zurück und ging weiter ins Haus, in die Küche: eine Bank um einen schweren Bohlentisch, ein befeuerter Herd, eine werkelnde alte Frau, in der Ecke ein Fernseher gleich neben dem Kruzifix. Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und ging wieder auf die Terrasse.
    Ich sagte gerade zu Kim, verkündete mein Verleger, dass Dušan am Nachmittag kommt, um Ihre Bildtafeln persönlich in Empfang zu nehmen. Unwillkürlich sah ich auf die Uhr an meinem Handgelenk. Wir werden uns die Zeit bis dahin schon zu vertreiben wissen; ich habe Ihnen ja eine Führung durch den Weinkeller versprochen. Er kam einer Antwort zuvor, indem er wie nebenbei meinte, ob ich so freundlich wäre, für ihn kurz etwas zu erledigen. Er sah Kim an, als hätten sie dies bereits abgesprochen; sie aber hob nur die Augenbrauen. Es wäre auch in Ihrem Interesse, setzte er hinzu.
    Ich sah ihn überrascht an. Er lächelte breit: Pekunien, Pekunien! Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie sich Ihr Honorar selbst von der Bank abholen? So sind hier die Gepflogenheiten. Auf meinen erstaunten Blick hin beschwichtigte er mich: Milan wird sie fahren; wenn Sie wollen, noch vor dem Essen. Es wird keine Stunde dauern. Und dann fügte er, gleichsam nebenbei, hinzu: Bei der Gelegenheit können Sie gleichzeitig auch die Summe abheben, die uns das Konsortium für Ihr Projekt zur Verfügung gestellt hat – man wird Ihnen alles problemlos auszahlen, klopfte er mir auf die Schulter. Die Kunst muss leben! Mit einem diplomatischen Lächeln bekundete ich meine Zustimmung; wir waren ja schließlich des Geldes wegen hier.
    Ich stieg in den Geländewagen und nahm am Beifahrersitz Platz. Milan trug jetzt eine ärmellose Jägerweste, deren rechte Tasche sich tief ausbeulte. Auf meinen Blick hin zog er eine Handfeuerwaffe heraus und legte sie neben sich auf die Konsole. Sie scheinen einen gefährlichen Beruf zu haben, meinte ich auf Englisch. Er knurrte nur: Transport.
    Mir war unwohl. Alles kam mir von Minute zu Minute unwirklicher vor, und wie immer, wenn ich den Halt zu verlieren glaube, versuchte ich durch eine Bemerkung, ein Lächeln eine Art Komplizenschaft herzustellen. Er grinste zurück, ließ das Fenster auf seiner Seite herunter und drückte auf den CD-Spieler. Opernmusik erklang, irgendetwas Bekanntes; er tippte zuerst den Takt mit, sang dann lauthals dazu, um mir schließlich mit der Rechten den Einsatz für die zweite Stimme zu geben, sein Adamsapfel auf und nieder gehend. So fuhren wir hinein in eine Stadt, die bis zum Zentrum aus Plattenbauten, Glas und Plastikschildern bestand, breiten Obst- und Gemüseauslagen, ausladend mit Zeitungsfächern behangenen Kiosken; es war eine einzige große Avenue mit einem Mittelstreifen von abgestorbenen Sträuchern, zwischen denen sich der Müll anhäufte. Die Ortsgeschwindigkeit nie überschreitend, hielt Milan schon bei Gelb, die Linke am Lenkrad, seine Augen starr nach vorne gerichtet und weiter die Arie intonierend, trotz des unablässig hupenden Verkehrs, dass jeder, der neben uns zu stehen kam, rasch den Kopf abwandte.
    Dann standen wir vor einem alten k.u.k. Amtsgebäude, das ärarische Gelb längst abgeblättert, der Doppeladler über dem Tor zerfressen und der Verputz aufgeplatzt neben immer noch frischen Einschusslöchern. Innen war es angenehm kühl. Ich hatte eine Schalterhalle erwartet; stattdessen kamen wir zu einem Häuschen, in dem ein Faktotum Zeitung las, ohne uns zu beachten. Milan klopfte mit der flachen Hand an die Scheibe; der Pförtner sah uns nur kurz an und steckte dann den spitzen Finger in die Wählscheibe eines uralten Telefons aus Bakelit.
    Darauf schritten wir eine breite Marmortreppe hinauf und einen Korridor entlang, die
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