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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus
Autoren: Georg Lentz
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bescheidenen Taschengeldverhältnissen angemessen waren. Für ein paar Mark schleppten wir Kisten von möglicherweise brauchbaren Teilen in unsere Vorortwohnung und dann in Joachims Labor. Joachim schob sich, wenn er die Schätze auspackte, die Brille auf die Stirn, er sah besser ohne diesen Korrekturapparat, der ihn überdies verunstaltete.
    Manchmal spionierten wir auch bei Benjamin. Wir sagten ihm nichts von unseren Filmfunden, obwohl wir den Chaplin-Film gern gesehen hätten, anderer Filmstreifen wie »Fips, der Affe« und ähnlicher fürs frühe Heimkino produzierter Banalitäten waren wir überdrüssig. Joachim ging es darum, die Geheimnisse des Projektors zu ergründen, der mit einer Handkurbel betrieben wurde. Benjamin behielt sich die Vorführung selbst vor, er ließ weder Joachim noch mich an seine Maschine, die, grau und gußeisern, auf einem Gestell montiert war.
    Ein neues Problem ergab sich mit der Lampe. Eine hohe Lichtstärke war nötig, damit die Bilder klar auf der Leinwand erschienen. Die Lampen strahlten jedoch dermaßen viel Wärmeab, daß sie die Filmoberfläche beschädigten. Wir experimentierten mit unterschiedlichen Lichtstärken, benutzten die erbeuteten Tierfilme.
    »Es gibt keine Lösung«, sagte Joachim. »Benjamins Apparat besitzt ein Kühlgebläse. Ich sehe mich außerstande, so ein Gebläse zu bauen.«
    Wieder so eine geschraubte Redewendung: »Ich sehe mich außerstande.« Diesmal wußte ich, wo er sie herhatte. Professor Rübelmann, der in seiner und meiner Klasse Latein gab, sagte gern: »Ich sehe mich außerstande, euch Primitivlingen diese schönste aller Sprachen zu vermitteln.«
    »Was bastelt ihr eigentlich?« fragte einmal mein Vater. Wie üblich, legte er jedoch auf eine präzise Antwort keinen Wert. Ja, er verzichtete meistens überhaupt auf Antworten unsererseits. Er kümmerte sich nicht um unsere Schularbeiten, allenfalls fragte er, wenn er, des Bettdaseins überdrüssig, um den Tisch strich: »Kommt ihr gut voran?« Unsere Zeugnisse enthielten wenig Hinweise auf unsere Faulheit, wir reparierten die ärgsten Katastrophen durch unser ausgefeiltes Abschreibesystem. Anneli durchschaute uns. »Ihr seid von der Firma Klemm und Lange«, spottete sie, zaghaft, sie wollte das Hilfssystem nicht gefährden, von dem wiederum sie profitierte. In wenigen Minuten rechnete Joachim Annelis Divisionsaufgaben aus, sie selbst hätte den ganzen Tag dafür gebraucht.
    »Wir könnten«, schlug Joachim vor, »die übrigen Filme aus dem Schützenhaus holen.«
    »Es ist verschlossen«, gab ich zu bedenken. »Die Fenster sind vernagelt.«
    »Hat uns so was je gestört?«
    Wir pfiffen Zeppelin. Anneli war spielen bei einer Freundin, wir hätten sie nicht dabeihaben wollen. Alarmiert rief Tante Deli aus der Küche: »Wo wollt ihr hin? Ihr richtet doch nichts an?«
    »Ein bißchen raus«, sagte Joachim. »Den Hund ausführen. Zeppelin liegt den ganzen Tag nur unter dem Bett.«
    Tante Deli stellte sich in den Türrahmen, diesmal in der Küchentür,die ebenfalls auf unseren Dorfplatz, das Eßzimmer, mündete. Hier herrschte ein angenehmes Halbdunkel, es machte das Lügen oder, wie wir es nannten, das Verharmlosen leichter. Tante Deli wußte das und betätigte den Lichtschalter. Der Kronleuchter flammte auf, ein aus Geweihen bestehendes, mit elektrischen Kerzenimitationen bestücktes Monstrum, mein Vater behauptete, es stamme aus einem ehemaligen Jagdschloß des Prinzen Adalbert von Preußen. Ich bezweifle heute, daß Prinz Adalbert – gab es ihn? – ein Jagdschloß besaß, und wenn, daß er sich zugunsten des Millionenbauernsprosses Walter Pommrehnke von einem Kronleuchter getrennt hatte.
    Gleichviel, der Kronleuchter übergoß uns mit Licht. Mit entlarvendem Licht. »Ich kenne meine Pappenheimer«, drohte Tante Deli. »Macht bloß keine Dummheiten.«
    Wir verzogen uns in Richtung Ausgang, jagten mit Zeppelin die Treppe hinunter.
    Gegenüber lag ein Park, uns als Spielplatz vertraut. Als wir klein waren, wurden wir in diesen Park zur Buddelkiste geführt. Joachim war bald dem Sandspiele-Alter entwachsen, mußte aber mitgehen. Er haßte seitdem diesen Park. Zeppelin hielt auch nichts von solchen miserablen Jagdgründen, es gab dort nur Eichhörnchen.
    Ausgerechnet heute verschwand er pfeilschnell über die Straße ins Unterholz. Wir pfiffen und riefen, ohne Erfolg. »Scheißtöle«, sagte Joachim, indem er Papas Bezeichnung für Zeppelin im Stadium des Ungehorsams benutzte.
    Bei der ersten Parkbank
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