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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus
Autoren: Georg Lentz
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gehangen. Zeppelin war hereingekommen und schnüffelte die Ecken des Raumes ab. Hinten führte eine Treppe in die oberen Wohnräume. Sie lag fast vollkommen im Dunkeln, mein Vater mußte mehrere Streichhölzer anreißen, damit wir den Weg fanden. Im ersten Stock waren jedoch die Fenster unverschalt geblieben. Licht flutete herein, als wir die Zimmertüren öffneten. Die Zimmer gingen von einem langen Gang ab, ganz am Ende befanden sich Klosett und Badezimmer. »Komfortabel«, sagte mein Vater, »sogar Dampfheizung«.
    »Wo ist die Küche?« fragte Tante Deli. Sternchen Siegel, der sich hier anscheinend auskannte, sagte, die Küche liege im Keller. Wir tasteten uns die dunkle Treppe wieder runter und weiter über eine noch dunklere und engere Treppe in den Keller. Sternchen hatte eine Stallaterne gefunden, die einen Rest Petroleum enthielt. Wir entzündeten den Docht und drangen in die unteren Regionen des Hauses ein. Auf einer Seite lagen Kohlenkeller und Heizung, auf der anderen befand sich die Küche mit gewölbter Decke und einem gewaltigen Herd in der Mitte. Eine Tür öffnete sich zum Bier- und Weinkeller.
    »Sehr schön«, sagte Tante Deli, »aber unpraktisch. Wer will immerzu in den Keller? Und wer trägt die Speisen rauf?«
    Sternchen demonstrierte, daß es einen Speiseaufzug gab, bis in den ersten Stock sogar, in die Wohnung. »Sehr schön«, wiederholte Tante Deli. »Doch man braucht Personal.«
    Was die beiden weiter besprachen, hörten wir nicht, längst waren mein Bruder und ich wieder nach oben gelaufen und durchstöberten die Zimmer. Hier und da war ein Möbelstück stehengeblieben, eine Seemannskiste, ein Vertiko, das unserem daheim glich, ein Regal aus Bambusrohr mit Glastüren und Vorhängen hinter den Scheiben. Die Seemannskiste war zu unserer Enttäuschung leer. Im Vertiko fanden wir rund ein Dutzend angestaubte weiße Kragen, wie sie damals jeder Mann trug, Kragen, die mit Durchsteckknöpfen am Hemd befestigt wurden. Man wechselte die Kragen häufiger als das Hemd.
    Die Tür zum Bambusschränkchen klemmte, sprang aber auf,als wir an dem Möbel rüttelten. Eine Schachtel befand sich darin, die Schachtel war mit Filmrollen gefüllt. Kleine Rollen für ein Heimkino, damals etwas Seltenes, aber wir hatten so eine Apparatur einmal bei unserem Schulkameraden Benjamin gesehen, der wohlhabende Eltern hatte. Doch hatten wir uns keine Filmvorführung ansehen dürfen, draußen schien die Sonne, und Benjamin schickte uns in den Garten zum Spielen.
    Wir starrten auf die Filmrollen. »Die nehmen wir mit«, sagte Joachim, »nicht alle, aber ein paar. Jeder steckt sich zwei oder drei unter das Hemd.«
    »Und was machen wir damit?«
    »Wir gehen zu Benjamin. Vielleicht passen sie auf seinen Apparat.«
    »Dann will er sie haben. Was meinst du, was drauf ist?«
    »Was weiß ich? Sauereien vielleicht. Haremsdamen oder Bauchtanz. Ich hab’ so was mal auf einem Kinoplakat gesehen. Für Jugendliche verboten.«
    »Die Filme gehören uns nicht.«
    »Wem können die schon gehören? Wenn wir hier einziehen, wirft Tante Deli sie in den Müll.«
    »Dann können wir doch den ganzen Karton mitnehmen.«
    »Damit wir alle Filme wieder loswerden? Stell dir vor, es sind wirklich Haremsdamen drauf. Vater guckt sich das an, gegens Licht, und schwupp!, sind die Dinger beschlagnahmt. Nee, nee, wir schmuggeln ein paar davon raus und sehen erst mal in meiner Dunkelkammer nach, was drauf ist.«
    »Und dann?«
    »Dann müssen wir an so eine Maschine kommen. An ein Vorführgerät. Ich will längst so was haben. Hast ja gesehen, der kleine Saal. Wenn wir hierherziehen, mache ich Kintopp.«
    »Du? Dafür muß man erwachsen sein.«
    »Knallkopp. Wer sagt das?«
    Darauf wußte ich keine Antwort. Wir ließen ein paar Spulen in unsere Hemdausschnitte gleiten und schoben sie unter den Gürtel. Die Erwachsenen blieben vor der Tür stehen, unterhielten sich. »Wo seid ihr?« rief Tante Deli. Wir liefen die düstereTreppe hinunter, an ihnen vorbei. Wahrscheinlich sollten wir alle gemeinsam zum großen Saal rübergehen, diesen Anbau besichtigen, die Remisen. Wenn mich nicht alles täuscht, schlug Sternchen Siegel sogar mit einem Knüppel, den er aufgelesen hatte, einen Pfad durch die Brennesseln zur Kegelbahn. Ich könnte meine Gedanken weiterspinnen und behaupten, mein Vater habe eine Kugel aufgenommen, sie geschoben und – »alle Neune«.
    Möglich. Ich weiß es nicht mehr. Auch die Pferdeställe an der anderen Seite des Saalbaus entdeckte ich
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