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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus
Autoren: Georg Lentz
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dem Luftschutzkeller aufgestellt. Anneli erweckte die Texasreiter durch Auflage von Eisbeuteln zu neuem Leben.
    Jene Unruhe, die Joachim angesichts minderwertiger Filme ausstrahlte, schien ihre Strahlen in alle Richtungen zu senden. Eines Tages fuhr ein Jeep in den Hof. Während der Fahrer hinter dem Steuer sitzen blieb, sprangen ein Mann in US-Offiziersuniform und eine schlanke Dame in einer Rote-Kreuz-Uniform aus dem Gefährt. Betreten sahen wir zu, wie sie in die Gaststube kamen. Vornehmen Besuch waren wir nicht mehr gewöhnt. Die Spannung löste sich erst, als der Offizier seine Mütze abnahm und eine Glatze zum Vorschein kam.
    Eine uns bekannte Glatze. »Leberecht Lehmann«, schrie Joachim, sprang auf und umarmte den Ankömmling. Er hatte Grund, auch die Dame vom Roten Kreuz zu umarmen, wir alle umarmten sie, ebenso wie unseren Freund L.-L. Denn in der Rote-Kreuz-Uniform steckte Kitty!
    Mit unnachahmlicher Grazie schraubte sich Kitty eine Lucky Strike in die Zigarettenspitze und blies den ersten Ring.
    Wieder gab es viel zu erzählen. Kitty kam direkt aus Stockholm, Lehmann aus Hollywood. Er hatte die Invasion mitgemacht. Jetzt war er in Berlin Filmoffizier. »Zuständig für uns?« fragte Joachim. L.-L. nickte.
    Eine Woche später erschütterten wir die Berliner Kinowelt, indem wir »Casablanca« spielten, als erstes Lichtspieltheater in Berlin.
    Kitty war schön und besaß Verbindungen. Unsere Schmetterlinge entfalteten ihre Flügel, Seidenstoffe in den schillerndsten Farben verwandelten sich in Kleider. Nähmaschinen surrten. Der eigentümliche Geruch von Nähstuben verbreitete sich im oberen Stock. Nun machte es nichts mehr, daß Tante Delis Marmorpalais geschrumpft war. »Die Mode ist für Schlanke«, sagte Kitty, es war ihre vierte Ansprache, seit wir sie kannten.
    Eichelkraut fuhr oft mit dem Plattenwagen aufs Land, eingespannt in unsere Schmuggler- und Tauschorganisation. Einmal,eine Woche war seit Lehmanns und Kittys Besuch vergangen, sagte er: »Auf dem Güterbahnhof in Wannsee liegen verrostete Dinger. Die sehen verteufelt nach euern Projektoren aus.«
    Joachim und ich fuhren hin. Der Güterbahnhof war von Amerikanern abgeschirmt, sie drohten uns mit »Perforierung«. Doch wir sahen, wie Eichelkraut, die Projektoren liegen. Die Russen hatten sie nicht verladen.
    Über L.-L. machten wir unsere Ansprüche geltend. Die Army stellte uns die Projektoren zu. Jetzt liefen vier Projektoren, Wochenschau, Vorfilm – kein Problem.
    Für Farbfilmvorführung besorgte Lehmann lichtstarke Lampen und neue Kühlgebläse. Joachim wollte »Münchhausen« mit Hans Albers vorführen, einen der ersten deutschen Farbfilme, im Krieg gedreht. Doch Lehmann unterrichtete uns, er habe den Film verbieten müssen, auf Wunsch der russischen Kollegen. »Die Russen fühlen sich in dem Film unrealistisch dargestellt«, berichtete Lehmann.
    Sollten wir darüber lachen ? Als Lehmann weg war, sagte Joachim: »Wir haben also wieder eine Zensur.«
    Es stimmte. Die Amerikaner verboten eine Menge deutscher Filme. Und entdeckten ihrerseits die Knebel-Staffel, bei der man Filme abnehmen mußte, die man gar nicht haben wollte.
    Joachim löcherte Lehmann mit seiner Festival-Idee, bewährt seit langem, nun nannten wir es tatsächlich »Festival«. Es ist anzunehmen, daß Joachim diesen Begriff erfunden oder zumindest für Deutschland eingeführt hat.
    Über die Leinwand der Schützenhaus-Lichtspiele flimmerten Fritz Langs »Menschenjagd« und »Die Henker sterben auch«, alles Erstaufführungen in Deutschland. Joachim boxte mich, der ich wiederum sein Sklave war, in die Rippen: »Wir haben unser Kunst-Kino.«
    »Freu dich nicht zu früh«, unkte ich, mit jenem dürftigen Grad von Pessimismus, zu dem ein Berliner fähig ist.
    Wiederum macht sich in meiner Erinnerung der Zeitraffereffekt bemerkbar. Wunder geschahen in schöner Regelmäßigkeit, bald erwarteten wir sie wie etwas Selbstverständliches. Niemandwar mehr erstaunt, als an einem Vormittag aus den geöffneten Saaltüren Orgelklänge drangen: »Mit Musik geht alles besser, mit Musik geht alles gut…« Werner Bochmanns Filmmusik zu »Sophienlund«, dem Film, der Hannelore Schroth berühmt gemacht hatte!
    Wir rannten in den Saal, da saß Werner Bochmanns Namensvetter, unser Werner, auf der Orgelbank und spielte. Wir umarmten ihn, rissen ihn um, die Orgel hauchte Seufzer.
    Werners Nase leuchtete wie früher. Es dauerte keine zwei Minuten, da servierte Krause ein Bier und einen Korn, mit
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