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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus
Autoren: Georg Lentz
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Ergebnis, überflüssig, das zu erwähnen. Mir schien, als habe eine Art »Grabeninstinkt«, erworben im Ersten Weltkrieg, meinem Vater die Antwort eingegeben.
    Wie man ein zerrissenes Foto wieder zusammensetzt, ergab sich aus Bruchstücken, Erzählungen, Nachrichten, neuerdingsauch Berichten von Besuchern oder Briefen, was aus diesem geworden war, was aus jenem. Onkel Rudolph und Großvater hatten Lindow verteidigt, als Volkssturmmänner. Allerdings hatte Großvater den Kommandanten davon überzeugt, daß sie mit dem Boot am Seeufer in Bereitschaft liegen müßten. Ein paar Paddelschläge hatten sie vom Frontgeschehen getrennt, im richtigen Augenblick.
    Großvater schrieb: »Das Haus sieht wüst aus, Oma hätte den Rußkis die Hammelbeine langgezogen. Ich redete mit ihnen in ihrer Sprache, das fanden sie nett. Trotzdem schießen sie auf die Veranda. Die ollen Marine-Mützenbänder schmiß ich rechtzeitig in den See. Die Jungs fischten sie raus, und ein paar Wochen lang sah man in Lindow und Umgebung Sowjetsoldaten herumlaufen, die sich mit den Bändern geschmückt hatten. ›S.M.S. Karlsruhe‹ flatterte vom Käppi. Darüber der Sowjetstern.«
    Laura hatte sich nach Westen abgesetzt, wir sahen sie vorerst nicht wieder, denn auch Onkel Rudolph, übrigens in Begleitung seines Afrikakumpels Bruno, verschwand nach Westen, über die grüne Grenze zwischen sowjetischer und britischer Besatzungszone.
    Frieden war. Oder, offiziell, Waffenstillstand. Lydia entdeckte, daß sich Berliner Bouletten aus zerkleinertem Karnikkei herstellen lassen. Das gab unserem Gaststättenbetrieb neuen Aufschwung. Brauerei-Lagerverwalter Hubert eröffnete im Keller eines ausgebrannten Hauses eine Fabrik für künstliche Leberwurst. Er sah in uns künftige Großabnehmer. Eines Tages brachte er eine Probe mit. »Kostet«, forderte er uns auf.
    Wir kosteten. »Pfui Deibel«, sagte mein Vater, »was ist das für ’ne Pampe? Hast du die aus Fensterkitt gemacht?«
    Hubert schüttelte den Kopf. »Hefe und Majoran«, sagte er.
    Wir wollten verzichten, aber Tante Deli mischte sich ein. In der Folge verkaufte sie mehr als zweitausend Portionen, mit dem Standardsatz an die Abnehmer: »Die Stulle müssen Se sich dazudenken.«
    In ihr Hochdeutsch schlichen sich längst Berlinismen ein. Trotzdem zog sie nur mühevoll gleich mit dem Sprachschatzder Gäste. Das Bier, das wir ausschenkten, war bei denen Pferdepisse, unsere Bouletten nannten sie »Mark Brandenburg, du sandige«, und Huberts künstliche Leberwurst lief schlicht als Kinderkacke. Robinson wiederholte ohne jegliche Regung in seinem Gesicht solche Bestellungen: »Jawoll. Zweimal Pferdepisse, zwei Kinderkacke, einmal Mark Brandenburg.«
    »Alles Käse, aber sie amüsieren sich«, kommentierte mein Vater. Wenn es ihm zuviel wurde, sagte er, daß er sich ein bißchen hinlegen wolle. Sie hatten ihm aber noch kein neues Bett in sein verkokeltes Zimmer gestellt, und Tante Deli rief sofort: »Nicht in mein Bett!«
    So sahen wir meinen Vater jetzt immer öfter am Stammtisch vor sich hin dösen. Fragte man ihn nach seinen Mietshäusern, so gab er keine Antwort. Wir wußten, daß bei allen die Dächer weggeflogen waren, eins war halb ausgebombt. Bei dem Haus, in dem wir gewohnt hatten, waren im strengen Winter fünfundvierzig Rohre geplatzt. Für den Millionenbauern-Erben Pommrehnke bedeutete Hausbesitz nicht die reine Freude.
    Über neue Verleihfirmen pumpten die Amerikaner Unterhaltungsfilme in den Markt. »Wir können nicht eine Woche lang ›Meet me in St. Louis‹ spielen«, schimpfte Joachim, »und die anderen Filme in der Schublade liegenlassen. Ich will an die neuen Filme von Fritz Lang rankommen, von René Clair. Die Filme, die sie in Hollywood gedreht haben. Meinst du, sie rücken die raus?«
    Unsere Amis freuten sich. Die Filme liefen im Original mit deutschen Untertiteln. Jetzt erklärten die Jungs ihren Bräuten die Filme. Lydia löste allabendlich die angeklebten Kaugummis von den Sitzen, sammelte Präservative und Cocaflaschen ein, fegte Popcorn zusammen. »Mir scheint, halb Texas besucht unser Kino«, sagte mein Vater.
    In der Tat hieß das Reitergut inzwischen »Horse Platoon«, dort lag eine Einheit aus Texas mit ihren Pferden. »American Quarterhorse«, murrte mein Vater. »Das taugt nichts. Sie galoppieren dreihundert Meter und fallen um.«
    Gelegentlich fielen die Reiter von den Kinositzen, nach exzessivemWhiskygenuß. Wir stellten uns darauf ein. Im kleinen Saal hatten wir Feldbetten aus
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