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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus
Autoren: Georg Lentz
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»Unheimlich Klasse.« Er knipste die normale Birne über dem Waschtisch an, das Licht blitzte auf seinem linken Brillenglas. »Verstehst du nicht?«
    Ich verstand nicht. »Guck mal«, sagte Joachim mit einer Geduld, die ich vorher nicht an ihm beobachtet hatte, »das Schützenhaus hat doch einen Saal?«
    »Zwei. Einen großen Saal, sagt Tante Deli, und einen kleinen, eine Art Hinterzimmer, wo sie die Hochzeit gefeiert haben, als die Schlanstedtsche heiratete.«
    »Eben. Wozu dient ein Saal?« Joachim kniff mich in den Arm, es tat weh.
    »Laß das«, sagte ich. »Ein Saal dient zum Tanzen, zum Feiern. Die Erwachsenen betrinken sich, und sie werden laut, dann singen sie ›Die blauen Dragoner, sie reiten‹, und manche fallen unter den Tisch. Manche Männer fassen auch den Frauen vorne ins Kleid.«
    Joachim lachte. »Was du schon alles weißt.«
    »Knallkopp«, murmelte ich. Er war zwölf, ich zehn. »Zwei Säle«, sagte ich. »Wieso interessieren dich die?«
    »Hast du gehört, wann sie hinwollen? Besichtigen sie das Schützenhaus?«
    »Heute nachmittag, glaube ich.«
    Joachim öffnete die Tür. »Wir gehen mit. Ich will wissen, ob man in dem Saal Kino machen kann. Erst einmal im kleinen Saal, später im großen.«
    Das Bild von der Libelle schwamm unbeachtet im Wasser. »Willst du es nicht aufhängen? Zum Trocknen?« fragte ich.
    Joachim winkte ab. »Später. Ich muß jetzt das Ohr am Puls der Zeit haben.«
    Er redete oft so geschraubt, ich wußte nicht, was er meinte und wo er diese Ausdrücke herhatte.
    Meine Tante stand immer noch in der Tür, als ich aus Joachims Dunkelkammer zurückkam. »Wenn du das Schützenhaus im Hellen sehen willst, solltest du deinen Hintern aus den Federn wuchten«, ermahnte sie meinen Vater. Sie löste sich von ihrem Platz, ging auf das Bett zu. Mein Vater legte die Zigarre in den Aschbecher auf dem Nachttisch. Zeppelin rückte unter dem Bett vor, ein paar Zentimeter, sein Kopf wurde sichtbar, die krause Schokoladennase. Er knurrte.
    Zeppelin knurrte Tante Deli an. Mein Vater nahm einen seiner Pantoffeln, die vor dem Bett standen, und schlug Zeppelin auf die Nase. Ein Klaps nur. Zeppelin kroch unter dem Bett hervor und beschnupperte meine Tante, als habe er nie jenes Zeichen des Abscheus gezeigt, als habe er nie geknurrt. So weit ging Zeppelin allerdings nicht, daß er mit dem Schwanz gewedelt hätte. Tante Deli schlug die Decke zurück, mein Vater wälzte sich aus dem Bett. Er trug ein Nachthemd mit blauweiß gebördelten Nähten. Ein langes Nachthemd. Unter dem Saum sahen die Füße hervor, käsig, die großen Zehen mit starken Fußnägeln. Er fuhr in die Pantoffeln. Joachim und ich standen jetzt in der Tür, dort, wo vorher Tante Deli Posten gefaßt hatte – einer ihrer Ausdrücke: »Ich fasse da Posten, bis du aufstehst.« Oder: »Ich fasse hier Posten, bis die Frage des Wirtschaftsgeldes geklärt ist.«
    Mein Vater schlurfte an uns vorbei ins Badezimmer, wir mußten einen Schritt zurücktreten. Dann hörten wir, wie er das Rasiermesser auf dem Lederriemen wetzte. Tante Deli schütteltedie Kissen auf. Von der Zigarre im Aschbecher stieg ein Rauchfaden auf, immer dünner werdend.
    Die wenigen Male, da wir die Wohnung verließen, geschah es in immer gleicher Gruppierung. Vorneweg Hef Zeppelin, die Nase am Boden, verfolgt von der hüpfenden Anneli, die wiederholt ihr »Zellepin« in die Natur hinausschrie. Dahinter mein Vater, einen erkalteten Zigarrenstummel im Mundwinkel. Ab und zu brummte er, niemand wußte, ob dieses Brummen Behagen oder Mißbehagen ausdrückte. Entfernte sich Zeppelin, so blieb mein Vater stehen, nahm die Zigarre aus dem Mund und pfiff. Befand sich Zeppelin in Wurfweite, nahm mein Vater einen Stein auf und warf ihn in Richtung des Hundes. Mein Vater konnte weit werfen. Manchmal verrechnete sich Zeppelin und wurde getroffen. Er jaulte, Anneli stürzte zu ihm hin, kniete sich neben ihn und umarmte ihn. Zeppelin blickte vorwurfsvoll nach rückwärts, wo mein Vater, die Zigarre wieder im Mund, zufrieden brummte.
    Hinter meinem Vater ging Tante Deli, mit kurzen Schritten, die Hände in den Taschen ihres weitgeschnittenen Kleides oder eines entsprechenden Mantels. Alle Kleidungsstücke hingen an ihr. Den Kopf streckte sie vor.
    Joachim und ich bildeten den Schluß. Wir gingen nebeneinander, ich hörte Joachim zu, der seine Ideen entwickelte, wie jene vom Baumhaus: Im Park gegenüber wollte er, im Wipfel einer Linde, ein Baumhaus bauen, jedoch nur aus »natürlichen«
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