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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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Leute, die fein raus waren, die kommen und
gehen konnten.
    Wir sind im Zentrum.
In der geometrischen Enge der alten österreichisch-ungarischen Paläste schleppt
sich der Verkehr nur langsam vorwärts, die Leute überqueren die Straße, wie es
gerade kommt, und streifen die im Schritttempo fahrenden Autos. Die Bäume sind
nachgewachsen, junge Stämme ohne Vergangenheit. Ich sehe mir die Geschäfte an.
Neue Schaufenster neben den trostlosen von früher, wohlgeordnet und wesentlich
leerer als unsere. Streckenweise hat der Konsumzwang von dieser Stadt
profitiert, die wiederaufgebaut werden muss, von ihrem vom Krieg wie von einer
Säure zerfressenen Gesicht. Wie ein Korb dunkler Eier taucht eine Moschee mit
ihren kleinen Kuppeln auf. Unser Hotel liegt in einer Nebenstraße, genau hinter
dem alten osmanischen Markt der Baščaršija.
    Ich bestehe darauf,
das Taxi zu bezahlen, doch Gojko scheucht mich weg. Er bringt mein Gepäck
herein. Innen ist das Hotel gemütlich, anheimelnd wie die Diele eines
Privathauses. An der Tür hängt ein heller, fast silbriger Vorhang, der
Teppichboden ist rot mit kleinen schwarzen Rauten. In einer Ecke eine große
Vase mit steifen, offenkundig künstlichen Blumen. Pietro fasst sie trotzdem an,
um zu prüfen, ob sie echt sind, dann wischt er sich die Hand an den Jeans ab.
Er schaut zu dem Mädchen an der Rezeption, das, eingesperrt hinter einem Tresen
aus dunklem Holz, im Computer nach unserer Reservierung sucht. Aus dem Salon
nebenan dringen Männerstimmen herüber, mein Blick erhascht billige Schuhe und
zu kurze Socken. Es wird geraucht, die Luft ist grässlich verqualmt. Der Rauch
steigt mit uns die Stufen hoch und schlängelt sich in den kleinen Fahrstuhl.
Pietro sagt: »Wenn wir hier mehr als eine Nacht bleiben, kommen wir mit Krebs
nach Rom zurück.«
    Das Zimmer ist
ziemlich groß, es hat einen blauen, synthetischen Bettüberwurf mit Volants und
zwei nagelneue Nachttische. Ich öffne das Fenster und sehe hinunter. Eine
Sackgasse, einige parkende Autos, ein Baum mit roter Krone, eine breite Traufe
an einem mit Taubenkacke getüpfelten Blechdach.
    Pietro lacht im
Badezimmer auf.
    »Sieh dir das an,
Ma.«
    »Was gibt’s?«
    Ich drehe mich um. Er
hat ein Zahnputzglas in der Hand. Kommt zu mir und zeigt mir, dass das Glas in
einer Plastiktüte mit der Aufschrift HYGIENIC CLEANING steckt.
    »Na und?«
    »Die Tüte ist nicht
versiegelt, und das ist ein Nutella-Glas.«
    Ich lächle, sage ihm,
er solle das Glas dahin zurückstellen, wo er es gefunden hat.
    Ich wasche mir die
Hände, setze mich aufs Bett, ziehe mir die Handtasche auf den Schoß und räume
sie auf, packe aus, was von den Bordkarten übrig ist, stecke die Tickets für
den Rückflug wieder ein. Pietro wirft seinen Rucksack in den Schrank, nicht
einmal seinen Schlafanzug nimmt er heraus.
    »Lass uns rausgehen,
Ma. Was wollen wir hier?«
    Am liebsten würde ich
im Zimmer bleiben, in der Tasche habe ich noch eine Banane, die ein bisschen
schwarz ist von der Reise, die reicht mir. Ich möchte die Beine ausstrecken und
so liegen bleiben, reglos bis morgen. Gestern Nacht habe ich kein Auge zugetan,
weil ich immerzu an die Reise denken musste. Mein Mund ist innen wund, das
merke ich jetzt am Blutgeschmack, ich habe mir im Taxi auf die Wangen gebissen,
habe die Zähne auf mein Fleisch gepresst, um den Schwall von Emotionen
auszuhalten. Ich muss die Hausschuhe unters Bett stellen, muss nachsehen, ob
sich die Rollläden schließen lassen, ob der Wasserstrahl der Dusche stark genug
ist. Das muss ich tun, und weiter nichts. Unten wartet Gojko.
    »Gut, lass uns
runtergehen.«
    Es ist sieben Uhr
abends, das Licht hat nachgelassen, und plötzlich ist mir kalt. Ich höre
Schritte. Sie klingen wie Pferdehufe auf alten Pflastersteinen. Die Straße
führt zur Gazi-Husrev-Bey-Moschee, Scharen von verschleierten Mädchen albern
herum und schubsen sich gegenseitig. In einem Hof voller kleiner Bögen hinter
der Madrasa sind Handwerksprodukte der Region ausgestellt. Auf einer Leine
hängen in einer langen Reihe Tuniken mit besticktem Brusteinsatz und bilden
einen bunten Vorhang. Eine blasse, weiß gekleidete Frau bittet mich mit einer
zarten Geste in ihren kleinen Stickereiladen, als ich wieder gehe, legt sie die
Hände auf die Brust und verneigt sich.
    Pietro fotografiert
mit seinem Handy die Gewürzsäcke und die Kupferwaren, die die Läden bis obenhin
füllen.
    Wir bummeln durch die
alten Gassen mit ihrem Pflaster aus Flusssteinen, die Geschäfte
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