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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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Dann strapazierte er mich mit
seinen Theorien eines Comic-Lesers über alle möglichen Verstecke für Teppichmesser
und für Gabeln aus dem Selbstbedienungsrestaurant.
    Ich fragte ihn, ob er
ein Buch dabeihabe. Er sagte Nein, da er sitzengeblieben sei, brauche er für
die Ferien keine Bücher mehr. Ich ruh mich aus , sagte er.
    Beim Einsteigen sagte
er, das Flugzeug sei uralt, die Fluggesellschaften aus dem Osten kauften die
Maschinen, die die anderen verschrotteten. Die Maschinen, die abstürzten. Wir werden auf YouTube landen , sagte er. Ich dachte, Warum habe ich ihn bloß mitgenommen? Er macht
mich noch wahnsinnig .
    Er hat die Augen
geschlossen, nickt im Takt zur Musik in seinem iPod. Er ist gut gelaunt und
beschwert sich nicht mehr über unser Reiseziel, er hat sich damit abgefunden.
Im Grunde ist er eine Frohnatur. Er hat jede Menge Fehler, doch wenigstens
leidet er nicht an Apathie wie viele seiner Altersgenossen.
    Jetzt ist er
eingenickt, die Lippen geöffnet, der Kopf hinuntergesackt, während der iPod
weiterwispert. Der Himmel draußen ist wolkenweiß, reglos und unwirklich.
    Ich zwinge mich, auf
andere Gedanken zu kommen, an den Sommer zu denken, der mich erwartet. Wir
werden Freunde in Ligurien besuchen, wir Erwachsene werden dort sein und ein
paar Kinder in Pietros Alter. Wir werden barfuß Partys feiern, es wird Bücher
geben und Spaziergänge auf den Klippen, mit Krabben in den Pfützen. Giuliano
wird zum Eisenwarenhändler gehen und Haken und Schrauben kaufen, um einen
Fensterladen zu reparieren. Wir werden uns mitten in der Nacht lieben, in der
samtigen Kühle der dortigen Nächte, wenn der Wind vom Meer heraufkommt und uns
die Dunkelheit über unser Alter hinwegtäuscht.
    Pietro wacht auf,
sieht mich an und gähnt.
    »Was weißt du über
Sarajevo?«
    »Haben sie da nicht
diesen Erzherzog ermordet?«
    Ich nicke, das ist
doch immerhin schon etwas.
    »Und was noch?«
    »Dass dann der Erste
Weltkrieg ausgebrochen ist.«
    »Und später?«
    »Pff …«
    »Was ist mit dem, was
ich dir erzählt habe?«
    Er antwortet nicht,
klebt jetzt am Fenster.
    Der Landeanflug
beginnt, ich spüre das Rucken des Fahrgestells unter dem Flugzeug. Meine Arme
und Beine sind steif, die Räder, die für die Landung ausfahren, scheinen aus
meinem Bauch zu kommen.
    Ich schaue nach
unten. Der schwarze Hang des Igman. Er hat sich nicht von der Stelle gerührt,
er ist noch da, langgestreckt, wie ein schlafender Riese, wie ein erlegter
Bison, auf dem die Natur losgebrochen ist, eine Jahreszeit nach der anderen,
wild und dunkel. Trotzdem erinnere ich mich, ihn mit Blumen übersät gesehen zu
haben (oder waren es Fahnen?), lilienweiße Fähnchen, die die Strecken der
Olympia-Athleten markierten und jeden in der Höhe grüßten, der über diesem
goldenen Tal, über diesem Jerusalem des Ostens, herunterkam, wo der Schnee auf
die schwarzen Turmspitzen der orthodoxen Kirchen fiel, auf die Bleikuppeln der
Moscheen und auf die schiefen Grabstelen des alten jüdischen Friedhofs.
    Es fährt kein Bus.
Wir gehen zu Fuß über die Landebahn. Die Luft ist weiß, die Sonne scheint
nicht, es sind mindestens zehn Grad weniger als in Italien.
    Pietro trägt ein
T-Shirt, das mit dem Hanfblatt darauf und mit dem Spruch GOTT ERSCHUF DAS GRAS UND
DER MENSCH DEN JOINT .
    »Ist dir kalt?«
    »Nein.«
    Die Flughafenfassade
sieht aus wie früher, leicht wie die einer Industriehalle. Ich hätte gedacht,
dass man sie abgerissen hat, stattdessen hat man sie wohl einfach repariert.
    Auf der Rollbahn
steht lediglich ein kleines Flugzeug, mit einem Kreuz an der Seitenwand, wie
bei einem Krankenwagen. Auf den ersten Blick könnte man es für ein
Sanitätsflugzeug halten, aber es ist nur eine Maschine der Swissair, für
Touristen, für friedliche Zwecke.
    Aus den Militärmaschinen
stieg man immer mit gesenktem Blick und rannte dann über den gähnenden Platz
auf den Schlamm der Tarnuniformen zu. Alle schrien durcheinander, und man hatte
das Gefühl, jeder könnte auf einen schießen. Der Flughafen … Der Flughafen war
in aller Munde, er war der einzige Ausweg aus der belagerten Stadt. Hin und
wieder versuchte ein Verzweifelter, ihn nachts zu überqueren, das war keine
gute Idee. Ohne Deckung konnte man selbst von einem lausigen Heckenschützen
erwischt werden.
    Der Eingang ist
ruhig, menschenleer. Neonröhren, Wände aus Leichtbauplatten, das trostlose
Licht eines Stundenhotels, eines abgelegenen Bahnhofs.
    Der junge Mann, der
die Pässe kontrolliert, hat ein
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