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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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Einkaufstüten
herauskam, gab es bereits ein ganzes Hupkonzert. Mein Vater saß reglos auf seinem
Platz, den Kopf in den Nacken gelegt. Es sah aus, als würde er schlafen. Ich
ließ die Tüten fallen, ich spürte meine Arme nicht mehr. Die Situation war
surreal, die Leute schimpften auf mich und meinen blöden Parkplatz. Ich musste
auf die Bestattungspolizei warten, bevor ich das Auto wegfahren konnte. Es
regnete, und ich saß in dieser Stadt ohne Geduld hinter beschlagenen Scheiben
neben dem Leichnam meines Vaters.
    Roms Luft, Seeluft.
Der Flugplatz wie eine riesige Deckenlampe voller Lichter, voller Flugzeuge,
die auf der Startbahn anstehen. Pietros Schritte sind lang, glücklich. Er ist
in seiner Heimatstadt, dort, wo er aufgewachsen ist, wo er mit seinem
Motorroller herumkurvt.
    Er sieht mich an:
»Was hast du denn?«
    »Ich fühle mich
irgendwie vertrottelt.«
    »Papa hat recht, du
solltest Papayapräparate nehmen.«
    Im Flughafenbus, der
uns zum Ausgang bringt, schaltet Pietro das Handy ein und liest seine
Nachrichten. Ich schiele auf das Display und sehe ein Foto von Dinkas
Bauchnabel, ihr Piercing.
    Zwischen den ganzen Chauffeuren mit ihren
Schildern wartet Giuliano. Ich sehe, wie er auffährt, als er uns entdeckt. Er umarmt
Pietro, hält ihn am Nacken und sucht seinen Geruch.
    »Ciao, Pietro.«
    »Ciao, Papa.«
    Bei mir ist er
schüchtern, wie auch mein Vater es war, er gibt mir einen Kuss, sieht mich kaum
an. Als er das Gepäck holt, späht er nach mir. Er fürchtet sich vor meiner
Laune.
    »Alles klar?«
    »Alles klar.«
    Er hat es eilig.
Jetzt, da wir zurück sind, hat er es eilig. Den Flughafen zu verlassen, diesen
Ort, an dem man sich trennt.
    »Was hast du denn
gemacht? Jeden Abend auswärts gegessen?«
    »Hast du schlechte
Laune mitgebracht?«
    Ich muss lächeln, wir
haben uns wiedererkannt.
    Als er mich das erste
Mal in Zivil abholte, um mit mir essen zu gehen, blieben wir ohne Benzin auf
dem Autobahnzubringer liegen. Es war hundekalt, und nur ein paar Lastwagen
kamen vorbei. Ich
fahre sonst immer mit einem Dienstwagen, entschuldige . Wir gingen zu Fuß, immer dicht an
der Leitplanke entlang, die Scheinwerfer schlugen uns ins Gesicht. Giuliano
breitete die Arme aus, Ich bahne dir den Weg . Später entdeckte ich, dass er abgesehen von seiner Arbeit so gut
wie nichts hatte, seine Wohnung sah aus wie ein Hotelappartement, und
vielleicht war sie das auch. Ich erinnere mich an einen Haufen Gabeln und
Löffel, die noch in der Verpackung waren. Ich spülte sie ab und räumte sie in
sein Schubfach. Wir waren immer ein bisschen lächerlich zusammen, doch ich
glaube, gerade das macht unsere Schönheit aus. Das Leben ist wie eine Lücke,
die sich in eine andere Lücke fügt. Und sie erstaunlicherweise ausfüllt.
    Im Auto erzählt
Pietro ununterbrochen von allem, was er erlebt hat. Er erinnert sich an Daten
und Namen. Er redet mit Gojkos Stimme. Europa hat rein gar nichts unternommen. Karadžić haben
sie erst jetzt eingesperrt, weil sie sich abgesprochen haben .
    Er sitzt hinten,
taucht aber ständig zwischen uns auf. Er tippt Giuliano auf die Schulter. Zeigt
ihm die Fotos, die er mit dem Handy gemacht hat. Als das mit dem Felsen kommt,
überspringt er es. Ich glaube, ich bin so ruhig wie dieses Kreuz auf dem
Felsen.
    Giuliano dreht den
Schlüssel herum, die Wohnungstür springt auf, das Licht geht an, die Bücher und
das Sofa sind wieder da.
    Pietro sieht sich im
Fernsehen ein Tennisspiel an, ich schminke mich ab, werfe den schmutzigen
Wattebausch in den Papierkorb. Mache das Licht aus, schaue nach dem Gasherd. Im
Kühlschrank ist nichts, nur das, was ich hineingetan hatte, ein schlaffer
Salat, ein Zweierpack Joghurt.
    Ich gehe auf den
Balkon und lehne mich ans Geländer. Giuliano kommt zu mir, er legt seine Hand
auf meine. Wir sehen zur Bar hinunter, zu den Halbwüchsigen, die an ihren
Microcars lehnen.
    »Wie war dein Tag?«
    Er ist im
Morgengrauen losgefahren, um ein illegales Camp von Flüchtlingen aus dem Osten
räumen zu lassen.
    Das ist die Arbeit
dieses Sommers. Eine Arbeit, die ihn deprimiert. Diese Welt, die die
Fingerabdrücke von Roma-Kindern nimmt und Minderjährige aktenkundig macht,
gefällt ihm immer weniger.
    Ich erzähle alles.
Giuliano hört mir zu, mit verschränkten Armen, mit militärischen. Seine Kehle
schluckt, schluckt hinunter. Er zieht mich zu Pietro. Er will ihn ansehen.
Dieses Leben ansehen.
    Die Tür ist
geschlossen, an der Klinke das geklaute DO-NOT-DISTURB -Schild aus dem Hotel
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