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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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die Verbindung könnte zusammenbrechen und die Stille der letzten Jahre
könnte wiederkehren, die mir jetzt unerträglich wäre.
    Hastig frage ich ihn
nach seiner Telefonnummer. Es ist die eines Handys, ich notiere sie auf einem
Zettel, mit einem Stift, der nicht schreibt. Ich müsste einen anderen suchen,
doch ich traue mich nicht, das Telefon hinzulegen. Das Rauschen wird stärker.
Ich sehe eine Leitung vor mir, die zerreißt und funkensprühend herunterfällt …
Wie viele im Leeren hängende Kabel habe ich in der abgeschnittenen Stadt
gesehen. In meiner Angst, Gojko erneut zu verlieren, spieße ich die
Vergangenheit auf, indem ich fest mit dem Stift aufdrücke.
    »Ich rufe dich an und
sage Bescheid, wann das Flugzeug ankommt.«
    Ich gehe in Pietros
Zimmer, wühle in seinen Stiften und schreibe die weiße Nummer nach. Pietro
schläft, seine langen Füße reichen über das Laken hinaus. Ich denke, was ich
immer denke, wenn ich ihn so daliegen sehe, nämlich dass sein Bett zu klein
geworden ist und ein neues her muss. Ich hebe die Gitarre auf, die neben den
Hausschuhen auf dem Boden liegt. Er wird sich aufregen, und ich werde kämpfen
müssen, um ihn zum Mitfahren zu überreden.
    Ich dusche und gehe
dann zu Giuliano in die Küche. Er hat schon Kaffee gemacht.
    »Wer war denn am
Telefon?«
    Ich antworte nicht
gleich, meine Augen sind wie Lack und starr. Unter der Dusche fühlte sich meine
Haut so fest an wie früher, als ich mich noch rasch wusch und mit nassen Haaren
aus dem Haus ging.
    Ich erzähle ihm von
Gojko, sage ihm, dass ich verreisen will.
    »So plötzlich?«
    Doch überrascht ist
er nicht.
    »Hast du es Pietro
schon gesagt?«
    »Er schläft noch.«
    »Vielleicht ist es an
der Zeit, dass du ihn weckst.«
    Er hat Bartstoppeln
von der Nacht, seine strubbligen Haare bespritzen ihm die Stirn, die kahle
Stelle oben am Hinterkopf ist deutlich zu sehen. Tagsüber ist er stets
gepflegt, er ist ein Stadtmensch, einer der Kasernen und Archive. Diese
Unordentlichkeit ist nur für mich, und noch immer scheint sie mir unsere beste
Seite zu sein, die wohlriechendste und heimlichste … die unserer Anfangszeit,
als wir uns liebten, uns danach nackt und zerzaust gegenübersaßen und uns
anschauten. Wir sind Mann und Frau, er kam mir vor sechzehn Jahren auf einem
Militärflugplatz entgegen. Doch wenn ich ihm sage, dass er mir das Leben
gerettet hat, schüttelt er den Kopf, wird rot, wehrt ab und sagt, ihr wart es, du und Pietro, die mir das Leben
gerettet haben .
    Er nascht gern. Nutzt
die Gelegenheit, meine erstaunten Augen, um noch einen Plumcake zu essen.
    »Aber beschwer dich
dann nicht über deinen Bauch.«
    »Du bist es doch, die
sich beschwert, ich bin zufrieden mit mir.«
    Das stimmt, er ist
zufrieden mit sich, und darum ist er so sympathisch. Er steht auf, berührt mich
sanft an der Schulter.
    »Es ist gut, dass du
fährst.«
    Er hat einen
Sinneswandel in meinem Blick gelesen … Ja, auf einmal habe ich Angst. Ich bin
zu schnell in die Hitze der Jugend zurückgefallen. Die mir jetzt nur noch wie
eine schmerzliche Erinnerung vorkommt. Mir ist kalt im Nacken, ich muss zurück
ins Bad und mir die Haare fönen. Ich bin wieder ich, ein besiegtes Mädchen, nur
einen Schritt vom Alter entfernt.
    »Ich müsste da erst
ein paar Dinge regeln, muss in die Redaktion, ich … ich weiß nicht.«
    »Und ob du es weißt.«
    Er sagt, er werde
mich vom Büro aus anrufen, wenn er online ist, vielleicht finde er billige
Tickets, er lächelt: »Ich glaube nicht, dass sich die Leute darum reißen, nach
Sarajevo zu fahren.«
    Ich gehe in Pietros
Zimmer und öffne die Fensterläden. Er zieht sich unwirsch die Decke über den
Kopf. Ich stehe neben einer Mumie.
    In diesem Jahr hat er
sich gemausert und sich von seinen kindlichen Knochen verabschiedet, um ein
großer, staksiger Reiher zu werden, der noch nicht Herr seiner Bewegungen ist. Neuerdings
starrt er wie ein Goldsucher unentwegt auf den Boden, geht aus dem Haus, ohne
sich zu verabschieden, und isst im Stehen vor dem Kühlschrank. In der Schule
ist er sitzengeblieben, hat eine entwaffnende Dummheit an den Tag gelegt, eine
wahrhaft ruhige Kugel geschoben und sich in den letzten Monaten, anstatt sich
ins Zeug zu legen, hinter einer lächerlichen Rüpelhaftigkeit verschanzt.
Gereizt drehe ich mich beim Klang seiner mürrischen Knarzstimme um, die nur
Forderungen oder Vorwürfe für mich übrig hat. Was ist bloß aus dem zart
ningelnden Stimmchen geworden, das mich jahrelang begleitet
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