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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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starres Lächeln in seinem farblosen Gesicht.
    »Italiener.«
    Ich nicke, er gibt
mir die Pässe zurück.
    IZLAZ , Ausgang, steht auf einem Schild.
Pietro hat sich die Gitarre umgehängt, er mustert die Leute ringsumher. Ein
stark geschminktes muslimisches Mädchen mit einem fleischfarbenen Schleier auf
dem Kopf umarmt einen Mann vom Bodenpersonal, sie küssen sich mitten im
Gedränge und versperren den Weg.
    In der Ankunftshalle
herrscht ein großes Durcheinander, ich wühle mich durch die wartenden Körper,
die an den Absperrgittern lehnen. Ich spähe über die Köpfe der Nächststehenden
zu denen hinüber, die sich weiter hinten bewegen. Überall ist Zigarettenqualm,
ein Nebel, der die Farben verwischt, sie verschmutzt.
    Um besser auszusehen,
habe ich mir in der Flugzeugtoilette kurz vor der Landung die Lippen geschminkt
und mein Haar aufgelockert.
    Rechter Hand ist eine
Bar mit einem ringförmigen Tresen und Stehtischen, an denen die Leute trinken
und rauchen. Ein Mann löst sich von der Theke und kommt auf mich zu. Ich
erkenne ihn nicht gleich, doch er ist es, sofort. Er hat ein paar Kilo
zugenommen, trägt ein schwarzes, zerknittertes Leinenhemd, hat einen rötlichen
Bart und etwas weniger Haare als früher. Sein Gang ist unverwechselbar:
breitbeinig und auch dann noch ruhig, wenn er sich beeilt, dazu übertrieben
rudernde, leicht vom Körper abstehende Arme. Er umarmt mich ohne jede
Unsicherheit, presst mich an sich, als wäre ich ein Päckchen mit seinem Hab und
Gut, dann heftet er den Blick auf mein Gesicht. Er macht eine Rundreise,
Lippen, Kinn, Stirn. An den Augen geht es nicht weiter. Er verweilt, bohrt sich
hinein. Wie Meerwasser, das auf Reisen war und stürmisch wieder eins wird. Er gräbt
sich zurück in die verflossenen Jahre, um die fehlende Zeit durch die schamlose
Schlucht dieses quälenden, erfreuten Blicks rinnen zu lassen.
    Ich löse mich als
Erste, senke den Blick und entziehe mich diesem Pathos, aus Schüchternheit, aus
Unbehagen. Kein Mensch in Italien sieht dich so an. Ich reibe mir den Arm, als
hätte ich die Krätze. Zwei feuchte, dickliche und wohl nicht mal besonders
saubere Hände umschließen mein Gesicht wie ein warmer Verband.
    »Du schöne Frau!«
    »Ich alte Frau …«,
wehre ich ab.
    » Vafanculo , Gemma, red keinen Scheiß!«, sagt
Gojko. Ich lächle, finde den Klang dieses fehlenden F wieder. Erkenne den Spott
wieder, die Ironie, die der Ergriffenheit nach dem Rausch einen Tritt verpasst
und das Lachen hervorkitzelt. Er küsst mich, schließt mich erneut in die Arme,
drückt mir die Luft ab. Ich spüre das Leinen des Hemdes, die Wärme dieses
aufgewühlten, bebenden Körpers. Spüre, wie Gojko meine Knochen befühlt. Er
fährt mir über den Rücken wie ein Blinder und zählt mit seinen siedend heißen
Händen meine Wirbel. Jetzt erkenne ich auch seinen Geruch wieder, nach Nacken,
nach Schweiß zwischen den Haaren, nach Häusern mit Wachstuchtischdecken und
Gläsern mit weißen, in Grappa eingelegten Kirschen, nach Büros, in denen die
randvollen Aschenbecher Feuer fangen und die Kopiermaschinen ständig kaputt
sind, sie springen auf Fußtritte an, auf gut Glück.
    Etwas schnürt mir die
Kehle zu, und ich schlucke es runter, mit letzter Kraft, letztem Stolz. Ich
habe mir vorgenommen, nicht weich zu werden, mit dreiundfünfzig sondert man
schnell inkontinente Tränen ab. Ich knuffe Gojko gegen den Arm.
    »Du stehst gut im
Futter.«
    »Ich habe wieder
angefangen zu essen, stimmt.«
    Er schaut zu Pietro,
macht einen Schritt vorwärts und stolpert über seine Beine, die unentwegt
schlottern. Er schwankt, fällt jedoch nicht. Er hebt eine Hand. Augenblicklich
hebt Pietro seine. Ihre Hände klatschen aneinander wie in einem amerikanischen
Fernsehfilm. Gojko zeigt auf die Gitarre.
    »Musikant?«
    Pietro sieht ihn an,
lächelt.
    »Dilettant.«
    Gojko sitzt vorn,
neben dem Taxifahrer. Ein Arm aus dem offenen Fenster, sie unterhalten sich.
    »Verstehst du, was
sie sagen, Ma?«
    »Ein bisschen.«
    »Was sagen sie denn?«
    »Dass es regnen wird.«
    »Vafanculo«, zischt
Pietro mit nur einem F.
    Ich sitze starr und
still auf dem grauen Stoffsitz und sehe meine Hand an, die sich weiter oben
festhält, neben der Lüftungsöffnung aus schwarzem Kunststoff. Das Fenster ist
verstaubt, und dahinter ist jene Straße, jene lange, unvergessliche Allee. Wenn
ich über diesen Augenblick komme, schaffe ich vielleicht auch alles andere. Ich
will mir von dieser Stadt nicht die Deckung nehmen lassen. Die
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