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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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läuft ihr am Kinn
hinunter. Das süße, unerwartete Aroma ist schlimmer als alles andere. Es ist
eine Sehnsucht, die sie nicht mehr haben will.
    Er sagt Du musst wieder Trompete spielen, wieder
singen . Wie
viel Mut könnte sie in ihre neue Stimme legen. Sie könnte den Schrei der Frauen
einfangen, die wie sie waren, der Frauen im Schlachthaus. Des kleinen Mädchens,
das nicht wiederkam. Sie könnte den weißen Streifen daraus machen, der die
Finsternis von der Morgenröte trennt.
    Dieses Leben stockt
wie Mist in einem Stall, so still, dass sie vergisst, bewohnt zu sein. Sie will
ihre Stadt nicht verlassen. Immer hat sie den Wunsch gehabt wegzugehen, doch
nun will sie bleiben. Sie mag das Gefängnis dieser vorgeschriebenen Wege, die
Menschen, die ihr Schicksal auf den reinen Wahnsinn reduziert sehen.
    Noch ein Bild aus dem
Koran, der Šejtan, verflucht von Gott, weil er nicht
vor dem aus Lehm gemachten Menschen niederknien will.
    Einmal sitzt sie auf
einer Parkbank. Ein aufgeregter Kameramann streift durch die Trümmer, sie döst
in der Sonne vor sich hin, es geht ihr gar nicht mal schlecht. Das Mikrofon,
das man ihr dicht vor den Mund hält, bemerkt sie nicht.
    Der Journalist fragt Was erhoffen Sie sich für Ihre persönliche
Zukunft und für die Zukunft Ihres Landes?
    Aska erkundigt sich,
ob das Mikrofon echt sei und ob es funktioniere.
    Der Journalist ist
irritiert, natürlich funktioniere es.
    Aska weiß, dass sie
überhaupt keine Hoffnung hat, ihr Körper ist ein Schlangennest, sie spürt
bereits, wie sich die Schlangen bewegen.
    Sie denkt über dieses
Mikrofon nach, das zwar funktioniert, aber nichts nützt, weil ja doch niemand
ihre Stimme hören wird.
    Die einzigen Laute,
die ihr in den Sinn kommen, sind die eines Lamms, das sich verirrt hat.
    Mäh,
mäh.
    Diego weiß nicht, ob
die Verzweiflung, die sie beide verbindet, Liebe ist. Als Mann hätte er einen
anderen Weg einschlagen können. Es gibt nur einen Weg , denkt er, und zwar den, den wir zurückgelegt haben . Das menschliche Leben ist ein
Putzlappen, der immer über dieselbe Fläche wischt.
    Er nimmt ihre Hand.
Inzwischen ist etwas Zeit vergangen, er darf sie berühren.
    Ihren Bauch sieht er
nicht an, das traut er sich nicht. Er sieht ihren Nacken an. Er hat Farben und
Nadeln mitgebracht. Die Nadel treibt er ihr einige Abende später unter die
Haut. Sie hat ihn darum gebeten, sie erträgt diese Narbe nicht, die knotig wie
ein After ist, dieses Zigarettenloch im Nacken, das sich schlecht geschlossen
hat.
    Die Hand des Jungen
aus Genua zittert, er hat Angst, ihr wehzutun. Aska rührt sich nicht. Wie weh
kann ihr denn eine kleine Nadel tun? Ihr Körper ist vollgepumpt mit Schmerz.
Die Stiche, die ihr unter die Haut dringen, sind fast schon ein Vergnügen. Sie
hat einen Stein um den Hals, der sie jede Nacht nach unten zieht. Auf allen
vieren in jenem Zimmer.
    Diego hat geschickte
Hände, er hält sich gut. Zunächst macht er mit dem Kugelschreiber eine
Zeichnung, dann paust er sie mit der Nadel durch. Stich für Stich. Im Hafen von
Genua gab es keinen Hafenarbeiter, der nicht Tinte unter der Haut hatte, es war
nicht schwer, davon etwas zu lernen.
    Tätowierungen sind
neue, selbstgewählte Kennzeichen. Man schiebt etwas zwischen seine Haut und sein
Schicksal. Einen Tropfen Mut.
    Aska hat sich eine
Rose ausgesucht, dazu geraten hat er ihr. Auf der faltigen Narbe würden die
Blütenblätter wie echte aussehen. Das Grauen begraben von einer Blume.
    Als der Schorf
abfällt und die Rose zum Vorschein kommt, berührt Aska sie. Es ist das erste
Mal, dass sie ihren Nacken berührt. Sie kann ihn nicht sehen. Deshalb streift
Diego ihr Haar hoch und macht ein Foto aus nächster Nähe.
    Er bringt es in ein
Labor, das noch arbeitet. Als er ihr das Bild schenkt, sagt sie Es sieht aus wie eine Blume auf einem Grab , das ist doch schon etwas.
    Das ist eine Rose von
Sarajevo.
    Sie sitzen in einer
Kaffeebar ohne Türen, draußen wird geschossen, die Mokkatassen vibrieren, auch
der Kaffeesatz, der die Zukunft voraussagen sollte, vibriert.
    Diego ist schmutzig,
er ist ein Kriegsreporter, endlich ist er das, was er immer sein wollte. Er
sagt zu ihr Überleg’s
dir noch mal, du würdest ein Vermögen ausschlagen. Du brauchst bloß ein
Weilchen durchzuhalten, es ist wie eine Abtreibung in ein paar Monaten. Du
musst es dir nicht mal ansehen.
    Sie wendet den Kopf
hierhin und dorthin, zu den schmutzigen Tischen, zu den Leuten, die darauf
warten, dass sie zwischen den Bomben
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