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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt
Autoren: M Mazzantini
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sie stellen sich mit ihren
Messern auf, mit ihren Mördereinsamkeiten. Diego fotografiert die Teufel, lacht
und flachst mit ihnen herum. Ihre Gesichter gravieren sich in den Film.
    Sie laden ihn zum
Abendessen ein. Die Frauen bewegen sich wie Quallen um die Tische, sie bringen
Suppe und Lammragout. Da sieht er sie, erkennt sie an den Haaren. Er dreht sich
nicht um, bleibt über seinen Teller gebeugt. Hat nur das Gefühl einer
Drehbewegung, sie ist es, die den Kopf wendet wie ein verlorener Planet.
    Nach dem Essen öffnet
der Kommandant ein Schubfach und nimmt etwas guten Stoff heraus, sie ziehen
gemeinsam.
    Dem Kommandanten
gefällt Diegos Polaroidkamera, sie ist das neueste Modell, für Farbfotos. Diego
nimmt auch seine Armbanduhr ab, einen Chronografen, der die Zeit der ganzen
Welt anzeigt. Er lässt sie dort liegen, auf dem Tisch des Kommandanten mit den
meerblauen Augen. Er bittet um einen Gefallen, einen Tausch: die Möhre, die
Gefangene mit den roten Haaren. Sie kennen sie, verflucht, sie kennen sie. Der
Junge aus Genua nickt zu ihrem Gelächter, zu ihren Gesten. Er öffnet den Rucksack,
nimmt zehntausend Mark in Packpapier eingewickelt heraus und legt sie zu der
Polaroidkamera, zu der Uhr. Er lächelt.
    Aska geht ins Freie,
man bringt sie in diesen Raum. Hier findet der Austausch statt. Sie trägt einen
lappigen Anorak. Diego schaut kaum auf, er nickt, ja, das ist sie.
    Aska erkennt ihn
nicht sofort, die Mäuse drücken ihr auf die Augen. Einen Moment lang hält sie
ihn nur für einen neuen Folterknecht. Auch er hat sich verändert, hat seinen
Ziegenbart nicht mehr, hat lange, stachlige Fäden, die wie ein abgebrannter
Busch aussehen.
    Sie verlassen das
Lager einfach so, ohne Weiteres. Sie gehen über den silbrigen Vorplatz und
passieren das Tor. Aska kann sich nicht einmal auf dem Motorrad halten, sie
verliert mehrmals das Bewusstsein, auch der Wind hält sie nicht aufrecht.
    Der muslimische
Doktor ist ein kleiner Mann mit bläulicher Haut, er trägt eine seltsame Jacke,
wie ein Komiker, mit zu kurzen Ärmeln, wie die eines Kindes, das gewachsen ist.
Sein kahler Kopf ist von Adern durchfurcht, die anschwellen, wenn er spricht,
sie sehen aus wie gefangene Schlangen. Er nickt und streift die Manschetten
seines Hemdes hoch. Aska hat mehrere verkalkte Brüche und ein geplatztes
Trommelfell. Sonst hat sie keine inneren Verletzungen, auch ihre Milz ist in Ordnung.
Sie ist eine starke Frau. Der Doktor senkt den Blick, der Muttermund wird sich
wieder erholen, das braucht seine Zeit, wie nach einer Entbindung.
    Er will kein Geld,
wehrt Diegos Hand ab, senkt den Kopf. Auf dem dunklen, von den dicken Adern
gezeichneten Schädel schimmert ein Schweißfilm. Er sagt Gott sollte keinem vergeben . Sagt, er schäme sich, zur
menschlichen Rasse zu gehören. Als er Diego eröffnet, dass Aska schwanger ist,
versteht dieser nicht, er muss es sich noch einmal sagen lassen.
    Er hat diesen Film in
der Tasche, sucht ihn. Stranguliert ihn mit seiner verschwitzten Hand.
    Diego weiß nichts von
Frauen, die wie Schützengräben benutzt werden, an denen man das Gewehr reibt.
Der Doktor aber schon. Es ist eine gängige Praxis im Krieg, schlechten Samen in
die Felder zu streuen.
    Aska ist im fünften
Monat schwanger, sie kann nicht abtreiben.
    Der muslimische
Doktor sagt Gott
wird auch den Kindern nicht vergeben .
    Er ist ein alter
Muslim, an seiner Jacke ist ein Aufnäher. Er pflegt das Lamm. Manchmal rollt er
den kleinen Teppich aus, den er bei sich hat, und betet, er verneigt sich bis
zum Boden. Es sieht aus, als wollte er sich von Gott verschlingen lassen.
    Diego betrachtet
diesen alten, knienden Körper und fragt sich, wo sein eigener Glaube ist. Wie
gern hätte er einen solchen Trost.
    Er dreht sich einen
Joint. Die Geschichte von Herodes kommt ihm in den Sinn, sie gehörte zu denen,
die den Kindern im Religionsunterricht am besten gefielen, auch ihm gefiel sie,
er gruselte sich. Er sah die Adern auf dem kahlen Kopf des Doktors anschwellen.
Jetzt stellt er sich vor, dass sie von diesem Schädel gleiten wie träge
Schlangen, sich vom Milchgeruch angezogen an einer Wiege hochschlängeln, sich
um den Hals eines Babys schlingen und es erwürgen, um dann satt und lautlos in
die Kopfhaut des Doktors zurückzukriechen.
    Aska bewegt sich
nicht in ihrem Bett, hin und wieder spürt sie diese Hände, die sich auf sie
herabsenken, um die Wunden zu desinfizieren, um sie zu heilen. Es sind ferne
Hände, kleine Schmetterlinge auf einer faulen
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