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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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liebte, überlebte. Mit dreiundneunzig war sie rüstig genug, um mit Greta zu Howards Beerdigung nach Houston zu fliegen und mit ruhigen Händen die weiche Wange seines Enkels – ihres Urenkels – zu berühren. Howard starb mit sechsundsiebzig, ein alter Mann, der ein gutes Leben gehabt hatte. Die Trauerrede, die der Pfarrer hielt, verriet, dass er seinen Tod als traurig, nicht aber als tragisch empfand. Und doch schien es so falsch, so verkehrt zu sein, dass Cora erleben musste, neben dem Sarg ihres witzigen und lebenslustigen Sohnes zu stehen, und neben Earle, ihrem verbliebenen grauhaarigen Sohn – und sich davor zu fürchten, auch ihn zu überleben.
    Natürlich hatte es auch sein Gutes, so lange auf dieser Welt zu sein. Das war ihr durchaus bewusst. Sie konnte sich erinnern, in der Kutsche der Kaufmanns gefahren zu sein, vor der ein schwarzes Pferd trottete, und doch hatte sie aus den Fenstern eines Flugzeuges die Wolken von oben betrachtet. Keine Generation vor ihrer hatte die Erde von so hoch oben gesehen. Sie hatte jahrelang ohne sanitäre Einrichtungen im Haus gelebt und nicht sonderlich darunter gelitten, und ungefähr neunzig Jahre später ließ sie sich von Greta in einem Hotel in Houston in den Whirlpool helfen. Sie gab ihre Stimme für Dellas Enkel ab, als er sich um einen Sitz im Senat bewarb. Und obwohl sie Raymond überleben sollte und auch unter diesem Schlag litt, war er 1970 noch am Leben und sah mit ihr zusammen in den Fernsehnachrichten die ersten Schwulenparaden in New York und Los Angeles. In der darauf folgenden Werbung starrten die beiden einander entgeistert an und ließen ihr Essen kalt werden.
    Und sie durfte lange Zeit mit den Menschen zusammen sein, die sie liebte. Cora erinnerte sich an Greta, als sie sich als kleines Mädchen unter einem Tisch versteckte, und sie erinnerte sich an sie als junge Mutter, und jetzt hatte Greta selbst zwei Enkelkinder. Die kleine Donna, die Earle einmal auf seinem Knie hatte reiten lassen, wurde zu einer jungen Frau, die ihre Eltern und ihre Großtante Cora bat, das Wort »Farbige« nicht mehr zu verwenden, und einmal in der Kirche aufstand, um mit zitternder Stimme einen Raum voller weißer Presbyterianer zu bitten, den Sitzstreik bei Dockum Drugs zu unterstützen. Gretas Jüngster, Alan, der zu einem genauso gut aussehenden Mann heranwuchs wie sein Namensvetter, wurde Lehrer für Naturwissenschaften in Derby und hatte selbst zwei Söhne.
    Und zu Coras Überraschung kam 1982 Howards Sohn Walt tatsächlich eines Tages nach Wichita, um sich mit ihr über den Sommer zu unterhalten, als sie in New York Louise Brooks’ Anstandsdame gewesen war. Mittlerweile war Walt in den Fünfzigern, ein behäbiger Collegeprofessor für Film, und Cora lebte in dem Altersheim nicht weit von Gretas neuem Haus. Walt brachte ein kleines Gerät mit, das er Videorekorder nannte. Er schloss es an dem Fernsehgerät in Coras Zimmer an und erklärte ihr, dass er ein paar Louise-Brooks-Filme dabeihätte. Wenn sie Lust hätte, könnten sie einen davon anschauen. Ja, sagte er, direkt an ihrem Fernseher. Und wenn sie müde wurde, brauchte er nur auf einen Knopf zu drücken, um den Film anzuhalten, und sie könnte ihn, wann immer sie wollte, zu Ende ansehen. Ja, stimmte er ihr zu, ja. Es wäre tatsächlich eine kleine Wundermaschine.
    Er wollte sich mit ihr über Louise unterhalten. Er schreibe gerade ein Buch über Hollywoods Goldenes Zeitalter, erzählte er ihr, und alles, woran sie sich erinnerte, jede Anekdote über Louise Brooks, wäre hilfreich. Cora erzählte ihm, was sie noch wusste, verschwieg aber Dinge, von denen sie versprochen hatte, sie für sich zu behalten. Sie erwähnte weder Mr. Flowers noch den Tag im Jahr 1942, an dem sie Louise betrunken und pleite und voller Hass auf ihre Mutter in ihrer Dachkammer vorgefunden hatte. Aber wie sich herausstellte, wusste Walt schon über Mr. Flowers und Edward Vincent und Louises traurige Heimkehr während des Krieges Bescheid. Er wusste alles. Er habe ihre Memoiren gelesen, sagte er.
    Er entschuldigte sich, als er merkte, wie verwirrt Cora war. Tut mir leid, sagte er. Wusste sie nicht, dass Louise Brooks vor Kurzem ein Buch veröffentlicht hatte? Ja, sagte er. Ein Buch. Erst letztes Jahr. Lulu in Hollywood. Es hatte ziemlich viel Aufsehen erregt und eine gute Presse bekommen. Ja, sagte er, soweit ihm bekannt war, lebte sie noch. Sie war sechsundsiebzig und wohnte in Rochester. Er hatte gehört, dass sie nicht mehr trank, aber
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