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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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gescheitert war. Aber es würde sie sehr traurig stimmen, Louises Namen dort zu sehen, und sie beschloss, lieber nicht nachzuschauen.
    Sie wünschte, sie hätte bei Neuigkeiten vom Krieg genauso viel Disziplin beweisen können. In diesem Frühjahr forschte sie auf jeder Seite nach Berichten über die Pazifikfront und in weiterer Folge nach der Erwähnung eines Lazarettes oder Ärzteteams. Sie wusste nur, dass Earle irgendwo auf einem Schiff war – seine zwei Briefe waren gemäß den Richtlinien der Zensur vage gehalten. Wenn also über Kampfhandlungen und Tote berichtet wurde, wartete Cora in schweigendem Entsetzen. Sie wusste, dass schlechte Nachrichten zuerst Beth erreichen würden, deshalb schnürte sich jedes Mal ihr Magen zusammen, wenn das Telefon klingelte. Sie lauerte mit geradezu obsessiver Anspannung auf die Post, obwohl Earles Briefe bis Wichita wochenlang unterwegs und deshalb keine Garantie waren, dass es ihm gut ging. Sie fragte sich, ob ihre mütterliche Intuition sich regen würde, wenn ihm etwas zustieß. Sie hatte über Leute gelesen, die den Tod eines geliebten Menschen, lange bevor sie die Nachricht erhielten, gespürt hatten.
    Etwas in ihr war überzeugt, dass sie auch Mary O’Dells Tod in Massachusetts spüren würde. Als ihre leibliche Tochter würde Cora es irgendwie fühlen, wenn sie starb, und fern von ihren Halbschwestern und -brüdern für sich allein trauern. Aber einen derartigen Moment hatte es nie gegeben. Entweder erfreute sich Mary O’Dell eines langen Lebens, oder es existierte kein besonderes inneres Band zwischen ihnen.
    An einem warmen Samstag im Juni verbrachte sie den ganzen Vormittag im Haus der Güte, und als sie vor dem Haus parkte, sah Joseph schon nach der Post. Sie lief, so schnell sie konnte, über den Rasen, aber er schüttelte den Kopf.
    »Nichts von ihm. Tut mir leid.« Er sah sie mitfühlend an, aber das war alles. Alle möglichen Leute konnten sie sehen, und obwohl ein Bruder ohne Weiteres seine besorgte Schwester in die Arme nehmen konnte, waren sie so sehr daran gewöhnt, vorsichtig zu sein, dass sie es nicht riskierten. »Aber das ist für dich gekommen«, fügte er hinzu und reichte ihr eine Ansichtskarte. Das Bild zeigte ein Stillleben in Schwarz-Weiß, eine Iris in einer Vase. Auf der Rückseite stand auf der einen Hälfte Coras Namen, auf der anderen Danke. Vielleicht hätte Cora die Handschrift, die sich in all den Jahren nicht verändert hatte, auch ohne die Unterschrift LB erkannt.
    Abgestempelt war die Karte erst vor wenigen Tagen in New York.

21
    Earle fiel nicht im Krieg. Das Schiff, auf dem er stationiert war, war dreimal in Kampfhandlungen verwickelt, aber das erzählte er Cora und Alan erst, als der Krieg vorbei und er wieder in St. Louis war, bei Frau und Kindern und seiner Arbeit im Krankenhaus. Ob er in Europa auch überlebt hätte, konnte niemand wissen – Cora war nur erleichtert, dass er wieder zu Hause war. Und dann bekam Greta noch ein Baby, ein Mädchen, das sie nach ihrer Mutter taufte, und sie kam fast jede Woche mit Donna und der kleinen Andrea zu Besuch. Cora war sich bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatte, wie viel Leid ihr erspart geblieben war. Nicht jede Mutter hatte so viel Glück gehabt, und sie versuchte immer noch, die neuen Berichte über das furchtbare Leid in den Konzentrationslagern ebenso wie in Dresden und Hiroshima und Nagasaki zu verarbeiten. Der Gedanke, wie sehr die Annehmlichkeiten und die Freuden in ihrem Leben vom Zufall abhängig waren, machte ihr Angst. Earle hätte ums Leben kommen können, aber es war mehr als das, sie hätte irgendwo sonst auf der Erde geboren werden können, und sie und die Menschen, die sie liebte, hätten Qualen ertragen müssen, die sie sich nicht einmal annähernd ausmalen konnte. Dieser Gedanke war wie eine Offenbarung, etwas, für das sie Jahre gebraucht hatte, um es wirklich zu begreifen. Aber es unterschied sich nicht allzu sehr von dem, was sie als Kind empfunden hatte: Dankbarkeit für die Kaufmanns, aber auch Angst in dem Wissen, wie leicht der Zug sie zu anderen Leuten hätte bringen können. Alles wäre anders geworden.
    Natürlich hatten auch sie ihre kleinen Sorgen. Im Winter 1946 rutschte Joseph auf einem Stück Glatteis aus und brach sich das rechte Handgelenk. Sein Gips verwandelte seine Hand in eine riesige, unbewegliche Klaue, sodass er dem gereizten Krebs glich, zu dem er in den zwölf Wochen wurde, in denen er nicht arbeiten konnte. Und ein heftiger Frühlingssturm
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