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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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allem Myras Aussehen sie zur perfekten Sprecherin der Frauenbewegung machte, eine Art Antidot zur herkömmlichen Meinung, wie eine Frauenrechtlerin aussah. Und man sah ihr an, dass sie intelligent und kultiviert war. Sie schien alles über Musik zu wissen, die Werke sämtlicher berühmter Komponisten zu kennen. Und sie wusste, wie man Menschen bezaubern konnte. Einmal, als sie auf dem Podium stand, hatte sie Cora direkt in die Augen gesehen und gelächelt, als seien sie gut befreundet.
    »Ich kenne sie eigentlich kaum«, sagte Cora und starrte durch die beschlagene Windschutzscheibe auf die Leute, die aus der Straßenbahn stiegen und sich vor dem Regen duckten. Alan war auch mit der Straßenbahn zur Arbeit gefahren, deshalb hatte sie den Ford nehmen können.
    »Dann werde ich dich aufklären. Myra Brooks ist ein unerträglicher Snob.« Mit einem kleinen Lächeln wandte Viola den Kopf zu Cora, sodass die Straußenfeder an ihrem Hut ihr Kinn streichelte. »Hier das jüngste Beispiel: Sie hat der Sekretärin unseres Clubs eine Mitteilung geschickt. Anscheinend sucht Madame Brooks jemanden, der in diesem Sommer eine ihrer Töchter nach New York begleitet. Myra stellt sich offensichtlich vor, dass eine von uns mitfährt. Für über einen Monat!« Violas Augen funkelten, und ihre Wangen röteten sich vor Zorn. »Also wirklich! Was denkt sie sich bloß? Dass wir Hilfskräfte sind? Dass eine von uns für sie das irische Kindermädchen spielt?« Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Die meisten von uns haben fortschrittliche Ehemänner, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen seine Frau einen Monat lang entbehren möchte, damit sie ausgerechnet nach New York fährt. Myra selbst ist zu sehr damit beschäftigt, im Haus auf der faulen Haut zu liegen oder Klavier zu spielen, um selbst mitzufahren.«
    Cora presste die Lippen zusammen. New York. Sofort regte sich der alte Schmerz. »Na ja, sie hat noch andere Kinder, um die sie sich kümmern muss.«
    »O ja, aber das ist nicht der Grund. Sie kümmert sich doch gar nicht um sie. Diese Kinder sind praktisch mutterlos. Die arme Louise geht immer ganz allein zur Sonntagsschule. Edward Vincent, der Lehrer, fährt sie jeden Sonntag nach der Schule nach Hause. Das habe ich von seiner Frau gehört. Myra und Leonard sind angeblich Presbyterianer, aber in der Kirche sieht man sie nie. Dafür sind sie wohl zu intellektuell. Sie sorgen auch nicht dafür, dass die anderen Kinder hingehen.«
    »Es spricht für die Tochter, dass sie allein hingeht.« Cora legte den Kopf schief. »Ob ich sie wohl schon mal gesehen habe?«
    »Louise? Oh, daran würdest du dich erinnern! Eine sehr auffallende Erscheinung. Ihr Haar ist schwarz wie Myras, aber ganz glatt wie bei einer Orientalin, und sie trägt einen Pagenkopf.« Viola zeigte auf die Höhe ihrer Ohrläppchen. »Kein gewöhnlicher Bubikopf. Sie hat es sich vor Jahren so schneiden lassen, als sie herzogen. Viel zu kurz und streng, ganz entsetzlich, wenn du mich fragst, und so unweiblich! Aber ich muss trotzdem sagen, dass sie ein bildhübsches Mädchen ist. Hübscher als ihre Mutter.« Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und lächelte. »Und das scheint mir irgendwie nur gerecht.«
    Cora versuchte, sich das schwarzhaarige Mädchen, das noch schöner als seine schöne Mutter war, vorzustellen. Mit ihrer Hand, die in einem Handschuh steckte, tastete sie im Nacken nach ihrem eigenen Haar, das dunkel, aber in keiner Weise auffallend war. Ganz glatt war es sicher nicht, aber sie hoffte, dass es, hochgesteckt unter ihrem Strohhut, annehmbar aussah. Cora wurde immer gesagt, dass sie ein nettes, liebenswertes Gesicht habe und von Glück reden könne, gesunde Zähne zu haben. Aber das ergab noch keine strahlende Schönheit. Und jetzt war sie sechsunddreißig.
    »Meine Mädchen drohen auch schon, sich die Haare schneiden zu lassen«, sagte Viola mit einem Seufzer. »So ein Unfug. Diese ganze Schnipselei ist reiner Wahnsinn. Wenn es vorbei ist, können alle, die dem Trend gefolgt sind wie die Lemminge, jahrelang warten, bis ihre Haare nachgewachsen sind. Viele Leute stellen Mädchen mit Bubikopf gar nicht erst ein. Ich habe sie gewarnt, aber sie hören ja nicht auf mich. Sie lachen mich bloß aus. Und sie haben ihre eigene Sprache, einen Geheimcode für sich und ihre Freunde. Weißt du, was Ethel neulich zu mir gesagt hat? Wurp. Das ist kein richtiges Wort. Aber wenn ich ihnen das sage, lachen sie.«
    »Sie wollen dich nur
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