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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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Allgemeinen mit ihr mehr Geduld als mit ihren Eltern, weil ihr klar war, dass Cora kein schlechter Mensch, sondern nur eine alte Frau mit einem antiquierten Wortschatz war.
    Aber diese Geduld wurde auf die Probe gestellt, als sie von Viola hörte. Coras Großnichte konnte nicht verstehen, warum ihre Großtante mit einer Frau befreundet blieb, die auch nur mit dem Gedanken gespielt hatte, in den Klan einzutreten. Wusste sie nicht, was diese Leute anderen antaten? Die Großnichte starrte Cora fassungslos und mit Tränen in den Augen an. Hatte sie von deren feigen Verbrechen geahnt? Den Morden an unschuldigen Menschen?
    Ja, erwiderte Cora darauf, aber letzten Endes war Viola dann doch nicht dem Klan beigetreten. Nur weil sie ein Snob war, konterte ihre Großnichte, nicht weil der Klan abstoßend ist. Es waren andere Zeiten, konnte Cora dann nur zur Verteidigung ihrer alten Freundin vorbringen, die zu diesem Zeitpunkt schon längst tot war. (Krebs. Sie fing an zu rauchen, als ihre Töchter diese Gewohnheit annahmen.) An jenem Regentag im Sommer 1922, versuchte Cora es weiter. 1922 hatte der Klan allein im Stadtbereich sechstausend Mitglieder – und damals hatte Wichita nicht mehr als insgesamt achtzigtausend Einwohner. Es war für die Zeit nicht ungewöhnlich. Der Klan war mächtig und fand in vielen Städten Zulauf. Waren die Leute früher einfältiger? Bösartiger? Vielleicht, räumte Cora ein. Aber es war borniert, davon auszugehen, dass man sich, wenn man in dieser Zeit gelebt hätte, nicht derselben Ignoranz schuldig gemacht hätte. Cora selbst war nur aufgrund ihrer besonderen Umstände diesem speziellen Schwachsinn entkommen. Andere Irrtümer hatten sich länger gehalten.
    Auch heute gibt es noch genug Dummheit, sagte die Großnichte, und ich erkenne sie, wenn ich sie sehe. Stimmt, gab Cora zu, und deshalb bin ich stolz auf dich. Aber vielleicht gibt es noch ganz andere Dinge, von denen du nicht einmal etwas weißt. Verstehst du, was ich damit sagen will? Liebes? Für jemanden, der in der Nähe der Schlachthöfe aufwächst, riecht die Luft dort ganz normal. Du weißt nicht, was jemand, der jünger ist als du, eines Tages über dich denken wird und welchen Gestank wir immer noch einatmen, ohne es wahrzunehmen. Hör auf mich, Liebes. Bitte. Ich bin inzwischen alt, und das gehört zu den Dingen, die ich gelernt habe.
    Nachdem sie Viola abgesetzt hatte, fuhr Cora ins Stadtzentrum zurück und parkte direkt vor Alans Büro auf der Douglas Street. Niemand schaute sich nach ihr um, als sie aus dem Auto stieg. Erst vor zwei Jahren war eines der meistdiskutierten Ereignisse der jährlichen Wheat Show die Parade der Damen am Steuer gewesen. Schon damals hatten die Organisatoren keine Mühe gehabt, fast zwanzig Frauen zu finden, die darauf brannten, ihr Können hinter dem Lenkrad zu demonstrieren. Cora hatte den fünften Wagen in der Reihe gelenkt, neben sich einen stolzen Alan.
    Sie musste sich gegen die große Tür zu seinem Büro stemmen, um sie aufzudrücken, und als es ihr schließlich gelang, sah und spürte sie, warum. Das große Fenster im Vorzimmer stand offen, um die regenkühle Brise hereinzulassen, und ein großer elektrischer Ventilator war direkt auf sie gerichtet. Links von ihr saßen zwei junge Mädchen, die sie nicht kannte, und tippten. Alans Sekretärin stand hinter einem anderen Schreibtisch und bemühte sich, mit beiden Händen die Kurbel der Vervielfältigungsmaschine zu drehen. Als sie Cora bemerkte, hielt sie inne.
    »Oh, Mrs. Carlisle! Wie schön, Sie zu sehen!«
    Cora fiel auf, dass das Tippen aufhörte und die beiden Schreibkräfte aufblickten, um sie gründlich zu mustern. Es überraschte sie nicht. Alan war ein gut aussehender Mann. Cora lächelte die Mädchen an. Beide waren jung, und eine war hübsch. Keine von ihnen stellte eine Bedrohung dar.
    »Ich sage ihm gleich, dass Sie hier sind«, sagte die Sekretärin, die eine tintenfleckige Schürze über ihrem Kleid trug.
    »Nein, nein.« Cora warf einen Blick auf ihre Uhr. »Stören Sie ihn bitte nicht. Es ist gleich fünf. Ich warte einfach.«
    Aber in diesem Moment ging die Tür zu Alans Büro auf. Er steckte seinen Kopf ins Vorzimmer und lächelte. »Liebling! Dachte ich mir doch, dass ich deine Stimme gehört habe. Was für eine schöne Überraschung!«
    Schon kam er mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, groß und schlank und in der Tat eine stattliche Erscheinung in seinem Anzug mit Weste. Er war zwölf Jahre älter als Cora, aber sein
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