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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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allzu langer Zeit herumgestakst war. Aber jetzt trugen die Mädchen Röcke, die so kurz waren, dass man bei jedem Windstoß ihre Knie sehen konnte, und dafür gab es keinen logischen Grund. Viola hatte recht: Ein Mädchen, das einen so kurzen Rock trug, wollte angestarrt werden, und zwar auf eine ganz bestimmte Weise. Cora hatte hier in Wichita sogar Frauen ihres Alters gesehen, die ihre Knie zeigten, und ihrer Meinung nach sahen diese halb nackten Matronen besonders vulgär aus.
    Viola strahlte sie an. »Das ist einer der Gründe, warum ich dem Klan beitreten will.«
    Cora starrte sie an. »Wie bitte?«
    »Dem Klan. Ku-Klux-Klan. Letzte Woche war einer ihrer Sprecher bei uns im Club. Schade, dass du nicht da warst, Cora. Sie sind sehr daran interessiert, dass sich auch Frauen ihrer Sache anschließen und innerhalb der Vereinigung Positionen bekleiden.«
    »Das glaube ich gern«, murmelte Cora. »Wir haben ja das Wahlrecht.«
    »Sei nicht so zynisch! Ihre Argumente waren viel spezifischer! Sie wissen, dass wichtige Frauenfragen anstehen und dass Frauen mitkämpfen müssen.« Violas Hutfeder wippte beim Reden. »Sie sind gegen diese ganze Modernisierung, all diese Einflüsse von außen auf unsere Jugend. Natürlich sind sie auch an der Reinheit der Rasse interessiert, aber genauso viel liegt ihnen daran, junge Frauen etwas über persönliche Reinheit zu lehren. Wir müssen unsere Rasse rein erhalten, und wir müssen bei Gott Bewegung in die Sache bringen. Mein Schwager sagt, dass eine Übernahme bevorsteht, und alles wird in den Hinterzimmern des Vatikans geplant. Das ist der wahre Grund, warum Katholiken so viele Kinder haben, während man bei uns ein, höchstens zwei bekommt …«
    Viola brach ab. Cora brauchte einen Moment, bis sie begriff, warum ihre Freundin auf einmal verlegen wirkte.
    »Tut mir leid«, sagte Viola. »Ich habe nicht dich gemeint. Deine Situation ist anders.«
    Cora winkte ab. Die Zwillinge waren alles, was sie hatte. Sie und Viola sagten eine Weile nichts, und nur das Prasseln des Regens war zu hören.
    »Wie auch immer«, fuhr Viola schließlich fort, »ich glaube, es würde den Mädchen guttun, Umgang mit aufrechten, moralischen Menschen zu haben.«
    Cora, die auf einmal das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen, schluckte. Sie trug jetzt schon seit so vielen Jahren tagein, tagaus ein Korsett, dass sie es kaum noch als unangenehm empfand. Aber in Augenblicken wie diesem wurde ihr bewusst, wie eingeengt ihr Brustkorb war. Sie musste ihre Worte sorgfältig wählen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wäre persönlich betroffen.
    »Ich weiß nicht«, meinte sie betont beiläufig. »Also wirklich, Viola! Der Klan? Leute in weißen Umhängen und Kapuzen mit gruseligen Sehschlitzen?« Sie flatterte mit den Händen. »Und sie haben Hexenmeister und Große Hexenmeister und Freudenfeuer.« Noch während sie lächelte, spähte sie verstohlen in Violas kleine blaue Augen und analysierte, was sie in ihnen sah. Sie musste ihre Möglichkeiten abwägen, den aussichtsreichsten Weg zum Erfolg. Viola war älter, aber Cora war reicher. Das könnte sie sich zunutze machen.
    »Es wirkt einfach ein bisschen … gewöhnlich.« Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln.
    Viola legte den Kopf zur Seite. »Aber viele Leute sind –«
    »Eben.« Wieder lächelte Cora. Sie hatte genau das richtige Wort gefunden. Es war, als würden sie zusammen einen Einkaufsbummel im Innes Department Store machen, und Cora hätte sich abfällig über ein hässliches Porzellan geäußert. Sie wusste schon jetzt mit Gewissheit, dass Viola es sich noch einmal überlegen würde.
    Als der Regen nachließ, stiegen sie aus und trugen die Kartons hinein, die Pfützen vorsichtig umgehend. Als sie drinnen auf die Bibliothekarin warteten, plauderten sie über andere Dinge, blätterten in einer brandneuen Ausgabe von Alice im Wunderland und lächelten über die Illustrationen.
    Nachdem sie im Lassen Hotel Tee getrunken hatten, fuhr Cora ihre Freundin nach Hause.
    Wenn Cora viele Jahre später von dieser Heimfahrt mit Viola erzählte, verlor sie jedes Mal kurzfristig die Achtung einer ihrer Großnichten, die sie sehr gernhatte. Diese Großnichte, die nebenbei mit siebzehn ihr Haar viel länger trug, als ihrer Mutter recht war, war todunglücklich, weil sie im Jahr 1961 noch nicht alt genug war, um sich den Freedom Riders in den Südstaaten anzuschließen. Sie tadelte Cora häufig, weil sie das Wort »Farbige« verwendete, hatte aber im
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