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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Autoren: Laura Moriarty
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genannt. Heute wirkte sogar Myras blasser Hals lang über der weißen Seidenbluse mit Bubikragen, und ihr schmaler, eng taillierter Rock, der knapp über ihren Knöcheln endete, streckte ihre Figur. Eine dunkle Haarsträhne, die sich aus ihrem Nackenknoten gelöst hatte, hing ihr fast bis auf die Schulter.
    »Cora. Wie schön, Sie zu sehen.« Ihre Stimme war weich, melodiös und beinahe überzeugend. Am Telefon hatte sie so getan, als wüsste sie, wer Cora war. Jetzt hielt sie Coras freie Hand und nahm ihr mit der anderen den Sonnenschirm ab. »Sie sind zu Fuß gegangen? Bei der Hitze? Sehr beeindruckend. Ich schmelze förmlich bei dieser Sonne.«
    »Es ist ja nicht weit«, sagte Cora, obwohl sie fühlte, dass ihr Rücken feucht von Schweiß war. Sie fischte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte ihre Stirn ab. Myra, die bei näherem Hinsehen selbst ein wenig derangiert aussah, wartete. Die Perlknöpfe ihrer Bluse waren falsch geknöpft, sodass oben ein Knopfloch und unten ein Knopf übrig war.
    »Kommen Sie doch herein. Ich hole uns Limonade. Oder vielleicht lieber Tee? Und entschuldigen Sie bitte, wie es hier aussieht.« Sie schüttelte den Kopf. »Unser Mädchen kommt normalerweise um neun, aber aus irgendeinem Grund hat sie sich heute noch nicht blicken lassen. Und natürlich hat sie kein Telefon.« Sie warf die Hände in die Luft und seufzte. »Da bleibt einem nichts anderes übrig, als zu warten.«
    Cora nickte mitfühlend, obwohl sie selbst immer versuchte, im Haus aufzuräumen, bevor Della kam; sie wollte nicht, dass sie einen schlechten Eindruck hinterließ und Della zu Hause erzählte, was für eine Schlampe ihre weiße Dienstgeberin war. Als sie Myra in den Salon folgte, zeigte sich, dass ihre Gastgeberin nicht von derartigen Sorgen belastet wurde. Das Zimmer selbst war hübsch, geräumig, hell und luftig, und durch die zwei großen Fenster wehte eine frische Brise herein. Aber überall lag Zeug herum. Auf dem Boden fanden sich ohne erkennbares Muster ein Löffel, eine Füllfeder, ein Federballschläger, ein Schuhlöffel und eine nackte Puppe, der eines ihrer blauen Augen fehlte, weiterhin neben einem aufgeschlagenen Exemplar von Candide ein Paar schmutzige Socken, die nicht ganz von dem hübschen, mit Brokat bezogenen Sofa verdeckt wurden. Cora gab vor, die Socken nicht zu bemerken, und versuchte, durch den Mund zu atmen. Trotz der offenen Fenster hing der unverkennbare Geruch von verbranntem Brot in der Luft.
    Myra seufzte. »Ich war heute den ganzen Vormittag oben und habe gearbeitet. Ich halte nächste Woche einen Vortrag über Wagner.« Sie bückte sich, um den Löffel, die Puppe und den Schläger aufzuheben. »Die Kinder machen mich noch wahnsinnig. Eigentlich dürfen sie sich gar nicht im Salon aufhalten. Es ist mir wirklich peinlich. Ich bin gleich wieder da. Tee? Sie wollten doch Tee, nicht wahr? Oder Limonade?«
    Cora antwortete nicht sofort. Sie hatte Perfektion erwartet, Zimmer, die so schön wie Myra selbst waren. »Limonade, bitte.«
    Myra verschwand durch eine Schiebetür, die sie fest hinter sich zuzog. Cora blieb, wo sie war, und überlegte, ob sie die schmutzigen Socken unter das Sofa kicken sollte. Nach kurzem Zögern tat sie es, um sich dann, zufrieden mit dem Resultat, noch einmal in dem Zimmer umzuschauen. Überall lagen Bücher herum, stellte sie fest. Auf der Fensterbank ruhte Latein einfach gemacht , aus dem ein zerfranstes grünes Leseband hing und im Wind flatterte. Ein weiterer Stapel Bücher befand sich auf dem Mitteltisch. Sie trat näher und warf einen Blick auf die Titel. Goethes Gedichte. An Artist in Corfu. Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Die Entstehung der Arten. Unter einem kleinen Schemel verbargen sich Die gesammelten Werke von Shakespeare.
    Das Trappeln von Füßen auf einer knarrenden Treppe war zu hören, und kurz darauf kam ein lockiges Mädchen von ungefähr sieben Jahren herein und löffelte etwas, das nach Schokoladenkuvertüre aussah, aus einer Teetasse. Die Schokolade klebte an ihren hellen Wangen, ihrem Hemd und ihrer Nasenspitze. Sie erschrak, als sie Cora sah.
    »Hallo«, sagte Cora mit ihrer freundlichsten Stimme. »Ich bin Mrs. Carlisle. Ich bin eine Freundin deiner Mutter und warte hier nur auf sie.«
    Das Mädchen schluckte noch einen Löffel voll Schokolade. »Wo ist sie?«
    Cora deutete mit dem Kopf auf die geschlossene Schiebetür. »Da drin, glaube ich.«
    Die Tür wurde aufgeschoben, und Myra glitt mit einem Glas Limonade in jeder Hand
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