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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kommt, sobald er den alten Schuh ansieht, verändert sich seine Mimik, und der psychotische Schub ist da!« Sie ist tapfer, dachte er. Sie sitzt da mit gefalteten Händen und nimmt alle Kraft zusammen. Und sie wird viel Kraft brauchen in den nächsten Monaten.
    »Was kann man tun?« fragte sie, als Professor Seitz schwieg.
    »Wie gesagt – Klinikbehandlung. Man kann durch Hypnose versuchen, die seelische Verkrampfung zu lösen … falls es eine seelische ist. Es kann aber auch eine neuralpathologische Sache sein … dann wird man es mit Schocks versuchen. Auf jeden Fall ist eine Klinik angezeigt, wenn wir weiterkommen wollen.«
    Luise nickte. Sie fragte nicht weiter. Was konnte man ihr schon sagen? Gerd war krank … und das Fremde in ihm war so unheimlich, wie es unangreifbar war. Er saß im Bett, er scherzte mit den Kindern, er spielte mit ihnen Mensch-ärgere-dich nicht, er hörte Schallplatten, vor allem Beethoven, er las die Zeitungen, sprach telefonisch mit seinen Direktoren … aber neben seinem Bett stand der alte Schuh … Luise senkte den Kopf. Ihre Mundwinkel zuckten. »Ein … ein Irrenhaus?« sagte sie kaum hörbar.
    »Aber gnädige Frau!« Professor Seitz hob beide Hände. »Ich kenne eine hervorragende Privatklinik. Sie wird von Professor Dorian geleitet. Dorian hat einen internationalen Ruf als Neurologe und Neurochirurg. Er hat seine Klinik nur zu dem Zweck aufgebaut, Grenzfälle der Neurologie und der Psychiatrie zu behandeln. Sein Ärzteteam ist – um Superlative zu gebrauchen – einmalig. Ich habe bisher viermal mit Professor Dorian zusammengearbeitet, und jeder Fall wurde gebessert, drei sogar geheilt. Ich glaube, bei Dorian ist Ihr Gatte in den besten Händen, die es heute überhaupt gibt!«
    »Dann würden Sie mit Professor Dorian sprechen …?«
    »Schon geschehen.« Professor Seitz sah an Luise vorbei. Er schämte sich etwas, nach soviel umschweifenden Reden plötzlich mit vollendeten Tatsachen dazustehen. »Ein Zimmer ist reserviert. Dorian kennt ihren Gatten, vom Namen her. Er düngt seinen Klinikpark auch mit Sassner Volldünger.« Seitz versuchte ein befreiendes Lachen. »Ich glaube, daß wir uns gar keine Sorgen zu machen brauchen. Dorian wird diesen Leutnant Berneck schon verscheuchen. Wenn nur Ihr Gatte zusagt …«
    Gerd Sassner sagte zu. Luise hatte keine Mühe, ihn von der Notwendigkeit eines Sanatoriumsaufenthalts zu überzeugen. Sie sagte Sanatorium, und Sassner nahm ihre Hand und streichelte sie. »Wenn du meinst«, sagte er. »Aber du bleibst auch da!«
    »Natürlich, Gerd.«
    »Und Benno kommt auch mit.«
    »Auch Benno.« Sie schluckte. Wenn es eine Rettung gibt, dachte sie, reise ich mit dir und dem alten Schuh rund um die Welt.
    »Dann los!« Gerd Sassner schob die Beine aus dem Bett. »Langsam wird es mir zu dumm, als Gesunder wie ein Kranker behandelt zu werden …«
    Die Klinik Hohenschwandt lag in einem Gebiet der bayerischen Alpen, das noch nicht vom Fremdenverkehr und vom Massentourismus überschwemmt war. So etwas ist heute selten, aber es gibt noch Seitentäler, die nur von passionierten Wanderern durchstreift werden, denen Wege über Stock und Stein eine wahre Freude bedeuten.
    Hohenschwandt war früher ein Herrensitz gewesen. Irgendein Graf hatte sich hier in der Wald- und Felseneinsamkeit ein Schloß erbaut und gehaust wie ein Adler. Das mußte vor langen Zeiten gewesen sein, denn niemand kannte mehr den Namen des Grafen. Nur soviel wußte man, daß er eine junge Frau heiratete und wegzog, weil die junge Gräfin in dieser Einsamkeit trübsinnig zu werden begann.
    Von da an bewohnte niemand mehr Hohenschwandt. Das Herrenhaus verschwand unter Efeuranken, die Stallungen und Gesindehäuser verfielen, ab und zu überwinterten hier Wanderburschen und Landstreicher. Nur einmal kam Hohenschwandt noch ins Gespräch, als die Zingler Steffi aus dem nahen Dorf Rambach vor dem Richter angab, der Buchhäusler Toni habe sie im Festsaal des alten Schlosses geschwängert.
    Dann kam Professor Dorian. Woher er Kunde hatte von dem alten Schloß, wußte niemand. Er zeigte jedenfalls einen Kaufvertrag vor, der mit der staatlich bayerischen Schlösserverwaltung abgeschlossen war (ein Beweis, daß Hohenschwandt keine Erben mehr hatte und der Staat den Besitz übernommen hatte), und beschäftigte zwei Jahre lang alle Bauhandwerker der Umgebung mit dem Umbau des einsamsten Herrensitzes, den es wohl in Deutschland gab. Er ließ sogar eine Straße mit fester Asphaltdecke anlegen. In
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