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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Rambach und in allen anderen Dörfern wußte man bald, was da entstand: ein Krankenhaus, ein ganz modernes Spital mit vierzig luxuriösen Zimmern, zwei Operationssälen, einem Laboratorium, einem Ärzte- und Schwesternhaus und einem Nebengebäude – es war der ehemalige Pferdestall –, in den man Käfige einbaute, lange Marmortische, Kühlräume und einen großen Raum mit einem Kreuz an der Wand. Eine Leichenhalle.
    »Es soll eine Klinik für Spinnerte werden«, flüsterte man in Rambach und Umgebung. »Lauter Verrückte … der Vossler Pepi hat's aus München mitgebracht, wo er Masseur an der Universitätsklinik ist. Dieser Professor Dorian ist ein Irrenarzt …«
    So wuchs die Einsamkeit Hohenschwandts noch mehr. Man machte einen Bogen um das alte, neue Schloß. Sogar die passionierten Wanderer sahen nur von fernen Hügeln auf den großen Park von Hohenschwandt hinunter und suchten mit Ferngläsern nach Menschen zwischen den Blumenrabatten und den in der Sonne weißleuchtenden, flachen Neubauten. Es ist so prickelnd, Irre gefahrlos zu beobachten. Vielleicht zog sich einer nackt aus und sprang herum. Man hörte so vieles …
    Nur wer die Klinik Hohenschwandt betrat, erkannte sofort, daß sie etwas anderes war als eine private, vornehme Heilanstalt für reiche Geisteskranke. In dem umgebauten Herrenhaus herrschte die sterile Geschäftigkeit einer kompletten Klinik. Hier dämmerten nicht arme Wesen ihrem Tod entgegen, Menschen, deren Gehirn auf geheimnisvolle Weise aus ihnen lallende, tobende, stumpfe, lachende, von Halluzinationen verfolgte, nur noch äußerlich menschenähnliche Körper machte, sondern in Hohenschwandt waren die Betten belegt mit Menschen, die von der Hand Professor Dorians aus einem unerklärlichen Tunnel ihres Lebens hinausgeführt wurden zur wirklichen Sonne, zum Licht von Erkennen und Erleben. Und diese Hand konnte streicheln, Erinnerungen verblassen lassen, Wahrnehmungen zerstören, und sie konnte mit dem Skalpell in dieses größte Geheimnis zwischen Himmel und Erde eindringen, in diese pulsende, zuckende, stumme, windungsreiche Masse von knapp 1.300 Gramm, aus deren Labyrinth Genies und Alltagsmenschen, Gütige und Bestien, Prediger und Mörder, Redner und Stumme, Maler und Farbenblinde, Liebende und Hassende geboren wurden. Wie das alles entsteht, wer kann es erklären? Das Gehirn eines Schizophrenen, der sich einbildet, ein Hund zu sein, und bellend herumkriecht, oder der verzückt in den Himmel schaut und zuhört, was der heilige Antonius ihm erzählt, sieht pathologisch, im Schnitt, im Röntgenbild, herausgenommen aus der knöchernen Schale des Schädels, nicht anders aus als das Hirn eines Genies, dessen Denken die Menschheit vorwärtsbrachte.
    Das Geheimnis ist unerklärbar. Man kennt die Ganglienzellen und ihre Fortsätze, die Neuronen, man weiß, daß von ihnen die Impulse unseres Lebens, unseres Tuns, unseres Denkens kommen, man ahnt die verschiedenen Koppelungen der Rindenfelder des Gehirns, und man greift ein in dieses verwirrende Schaltsystem, das komplizierter und erregender ist als jedes Elektronengehirn mit seinen Tausenden von Drähten und Transistoren … und doch weiß man wenig oder gar nichts und steht immer wieder vor dem Rätsel, warum es Dumme und Kluge gibt, stumpfsinnige Idioten oder charmante Plauderer. Die graue Substanz des Zentralnervensystems, die große Masse des in Windungen gelegten, von feinen Blutbahnen gespeisten, von winzigen Nerven durchzogenen Gehirns schweigt auf alle Fragen. Sie reagiert nur … sie ist ein Heiligtum im Menschen.
    In Hohenschwandt hatte Professor Ludwig Dorian seine Klinik aufgebaut, um dieses letzte große Rätsel im Menschen zu entziffern. In den vierzig Zimmern lagen Patienten, die außerhalb des täglichen Lebens standen. Psychotiker, Manisch-Depressive, Schizophrene, Neurotiker, Psychopathen, Hirntraumatiker und endokrine Kranke. Sie alle hofften auf Dorian. Ein Teil von ihnen war operiert worden. Dorian hatte ihren Wahn beseitigt durch eine Operation, die zuerst der portugiesische Arzt Dr. Moniz versucht hatte, die Leukotomie, die Durchtrennung von Bahnen im Stirnhirn.
    Sie wurden von ihrem Wahn geheilt, aber sie veränderten ihre Persönlichkeit. Ihr Niveau sank, sie wurden still und verträumt, freundlich und zufrieden. Ein Schnitt nur … und ein anderer Mensch kam vom OP-Tisch herunter. Freeman, der große Psychochirurg, sagte einmal von diesen Leukotomierten: »Es liegt etwas von einem Kind in dem heiteren und ungebundenen
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