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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Blick zu sagen. Sie stinken fürchterlich. In der Mitte des Raumes, vor dem Demonstrationstisch, blieben Dr. Keller und der Gorilla stehen.
    »Johann«, sagte Professor Dorian wie scherzend. »Geboren in Uganda. Zehn Jahre alt. Er kam mit sieben Jahren zu mir, ein wilder Bursche, der die Eisenstäbe aus seinem Käfig riß. Sehen Sie nur seinen Bizeps, meine Damen und Herren, diesen Thorax, doppelt so ausgeprägt wie bei einem athletischen Menschen. Hochaufgerichtet mißt Johann genau zwei Meter neunzehn. Ein Prachtkerl! Vor drei Jahren operierte ich ihn zum erstenmal. Ich machte einen Eingriff in die Felder 9, 10 und 47. Sie sehen, aus einem ungebändigten Urwaldtier ist ein sanfter Knabe geworden, der aufs Wort hört, alle tierischen Zerstörungsinstinkte verloren hat und – wäre er ein Mensch und Triebverbrecher – zwar etwas stumpfsinnig, aber doch resozialisierbar sein würde.« Professor Dorian machte eine kleine Pause.
    Der Gorilla Johann grinste in die Menge. Er stand nun frei, ballte die Fäuste, trommelte gegen seine mächtige Brust und grunzte. Von der anderen Seite kam Angela Dorian in den Raum. Ihr folgte Dr. Kamphusen. Er trug ein Tonbandgerät in beiden Händen, stellte es auf den Tisch und schloß es an den Stecker an.
    Johanns riesiger Kopf schwenkte herum. Er sah das Tonband. Wie ein glückliches Lachen zog es über sein Affengesicht, er begann, auf seinen stämmigen Beinen hin und her zu stampfen und beugte den Schädel vor, als wolle er etwas hören. Professor Dorian lächelte.
    »Johann wurde vor drei Wochen noch einmal operiert. Durch ein Verfahren, das ich Ihnen noch erklären werde, aktivierte ich seine Hirnfelder 22 a, 47, 20 und 21, also die Zentren für Wahrnehmungen von Musik, Erkennen von Melodien, akustische Aufmerksamkeit, Tonempfindungen und Sinnverständnis für Musik. Und nun sehen und hören Sie, wie Johann durch diese Operation auf einem begrenzten Gebiet das Trennende zwischen Affe und Mensch überwunden hat.«
    Dorian nickte seiner Tochter zu. Angela stellte das Tonband an. Eine einfache Melodie erklang, gespielt auf einem Klavier. Ein Kinderlied konnte es sein, ein melodischer Bogen, der ins Ohr ging – wenn man ein Mensch war.
    Der Gorilla Johann hörte mit dem Stampfen auf. Er lehnte sich gegen den Tisch, reckte die Brust weit heraus, nahm – die Zuschauer sahen es mit einem Schauer zwischen Entsetzen und Ergriffenheit – die Haltung eines Sängers ein … und dann begann der Riesenaffe zu singen, mit einer tiefen, sonoren Stimme, voll und wohltönend. Und er sang im Zusammenklang mit dem Klavier so lange, bis Angela auf einen neuen Wink Dorians das Tonband wieder abstellte.
    Johann sank zusammen. Wie ein Kind tastete er nach der Hand Dr. Kellers und war zufrieden, als er sie gefaßt hatte und an seine breite Brust drücken konnte.
    Im Saal war es totenstill. Was man gesehen und gehört hatte, war ungeheuerlich, unbegreifbar, war ein Eingriff in die göttliche Schöpfung.
    »Ich bitte um eine kurze Pause, nach der ich Ihnen die Operation am Modell erklären werde«, sagte Professor Dorian abgehackt. Auch ihn überwältigte immer wieder der Erfolg seiner Hände. »Ich danke Ihnen.«
    Er machte eine kurze Verbeugung und verließ den Saal.
    Niemand klatschte, keine Füße scharrten Anerkennung … der Bann lag noch über allen, die dieses Wunder gesehen hatten.
    Dr. Keller warf einen schnellen Blick auf Angela. Auch sie sah in diesem Moment zu ihm hin, und ihre Blicke trafen sich.
    War hier die Grenze ärztlichen Forschens überschritten?
    Oder war hier ein Weg, vielleicht der einzige, geisteskranke Menschen zu heilen?
    Die Tür in ein wildes, unbekanntes Land war aufgestoßen.
    Gerd Sassner traf gegen Mittag in der Klinik Hohenschwandt ein.
    Dr. Hannsmann begleitete ihn, er saß vorn neben dem Chauffeur, den man zu völligem Stillschweigen verpflichtet hatte. Im Fond lehnte Sassner neben Luise, genoß die Autofahrt und erzählte Erinnerungen an Bergtouren, die er als junger Mann unternommen hatte. Vor ihnen auf einem Kissen lag der alte Schuh. Vor allem ihm erklärte Sassner die Landschaft.
    »Benno ist zum erstenmal in den Alpen«, sagte er. »Es war schon immer sein Wunsch, die Berge zu sehen. Aber der Krieg hat alles geändert.«
    Professor Dorian selbst begrüßte Sassner auf Hohenschwandt. Von Rambach aus, wo man tankte, hatte Dr. Hannsmann die Klinik angerufen. Dr. Keller holte Dorian aus dem ›Tierhaus‹, und nun ging der Professor dem Wagen entgegen und streckte
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