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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wickelte den Mull ab und schob die Luft aus der Kanüle. Mißtrauisch sah ihm Sassner zu.
    »Was soll denn das?« fragte er.
    »Ein harmloses Präparat zur Nervenstütze.« Dr. Hannsmann rieb schnell eine Stelle an Sassners Unterarm mit Alkohol ein. »Sie werden sehen, wie gut Ihnen das tut. Ein harter Vitaminknochen ist das!«
    »Von mir aus! Wenn ihr Ärzte nicht stechen könnt, seid ihr unzufrieden. Jedem Kind sein Eimerchen, jedem Arzt sein Spritzchen. Aber machen Sie schnell, Doktor … ich habe in zehn Minuten eine Art Staatsempfang. Ich muß Sie nach der Injektion hinauswerfen.«
    Dr. Hannsmann nickte. »Sie werden sehen«, wiederholte er, »daß Ihnen diese Injektion neuen Lebensmut gibt …«
    »Als ob es mir daran mangelte!« Sassner lachte, als der Arzt einstach und schnell die wasserhelle Flüssigkeit in den Muskel drückte. Er rollte den Ärmel herunter, knöpfte die goldenen Manschettenknöpfe zu, zog die Jacke an und setzte sich dann plötzlich erstaunt in den Sessel. »Das ist ja ein Teufelszeug, was Sie mir gespritzt haben«, sagte er. Seine Zunge lag schwer im Gaumen, sie war kaum zum Sprechen zu bewegen. »Ich werde müde … Doktor … haben Sie nicht … die Spritze … verwechselt … Ich … Donnerwetter …« Er versuchte aufzustehen, die Beine rutschten weg, er fiel in den Sessel zurück und ließ den Kopf nach hinten sinken.
    Zehn Minuten später fuhr der werkseigene Krankenwagen aus einem der Fabriktore. Auf der Trage schlief Gerd Sassner. Dr. Hannsmann saß neben ihm und betrachtete das Gesicht des Schlafenden.
    Was wird aus dir, dachte er. Auf dem Gipfelpunkt des Lebens schlägt es in dich ein wie ein Blitz.
    Er wandte sich ab und sah vor sich hin auf den Wagenboden.
    Unter der Trage lag der alte, zerrissene Schuh.
    Man brauchte ihn noch, wenn Gerd Sassner wieder erwachte.
    Die Untersuchungen dauerten eine Woche.
    Sassner ließ sie über sich ergehen, ruhig, mit einem verträumten Lächeln, als wollte er sagen: Macht nur! Reibt euch auf an eurem ärztlichen Wissen. Was ich weiß, kann kein Abtasten, keine Enzephalographie, kein Messen der Hirnströme erklären.
    Am ersten Tag, als er nach der starken Betäubungsinjektion im Bett seines im französischen Stil eingerichteten Schlafzimmers erwachte, hatte er noch aufbegehrt. Er wollte aus dem Bett springen, nannte Dr. Hannsmann einen Betrüger, der ihn überlistet habe, weigerte sich, Professor Seitz zu empfangen, aber dann gelang es Luise durch sanftes Zureden und durch Tränen, Sassners Sinn zu ändern. Tränen seiner Frau machten ihn weich. Er hatte Luise selten weinen sehen, eigentlich nur zweimal, beim Tode ihrer Eltern, und einmal, ein einziges Mal seinetwegen. Das war vor sieben Jahren, in den Dolomiten. Er hatte sich auf einer Skiwanderung verirrt, kam in einen plötzlich aufwallenden Bergnebel und verlor restlos die Orientierung. In einer Schutzhütte übernachtete er im fauligen Heu, müde wie ein Wolgaschlepper, hörte nicht das Bellen der Suchhunde und die Rufe der Suchtrupps. Als er am Morgen zurückkam ins Tal, fand er Luise in Tränen aufgelöst vor. Es war ein erschütternder Anblick, wie sie auffuhr, als er hereinkam, wie sie hell aufschrie und ihm um den Hals fiel. Und nun weinte sie wieder, nach sieben Jahren … das griff ihm ans Herz, er nickte, wurde friedlich und sagte: »Also gut … ich bin krank. Wie ihr wollt! Nun hör auf zu weinen, Rehlein. Mein Gott, was soll ich denn haben? ich fühle mich pudelwohl! Was soll bloß Benno Berneck von uns denken …«
    Nach acht Tagen Tests und Messungen, langen Unterhaltungen, die einem Psychiater Einblick in das Seelenleben des Patienten verschafften, denn nichts entblößt die Seele eines Menschen mehr als ungehemmtes Sprechen, machte Professor Seitz einen Vorschlag. Er besprach es zuerst mit Luise, und er war ehrlich und offen, denn es hatte keinen Sinn, die Dinge zu beschönigen.
    »Ich schlage einen Klinikaufenthalt vor«, sagte er. »Ihr Gatte ist zwar körperlich von einer erstaunlichen Gesundheit, aber seine Psychose, seine Wahnidee, den alten Freund aus Kriegstagen, Leutnant Berneck, in diesem zerfetzten Schuh wiederzuerkennen, ist mit ambulanter Behandlung nicht zu beheben. Es ist überhaupt eine merkwürdige Umschaltung im Hirn Ihres Gatten vorhanden. Über alle Gebiete des Lebens kann man mit ihm reden … er ist im Besitz einer überdurchschnittlichen Intelligenz, er steckt voller neuer Pläne, die man sogar kühn nennen kann … aber sobald die Rede auf den Krieg
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