Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
schläft …« sagte sie leise, damit es der Chauffeur nicht hörte.
    Sassner hob den Kopf.
    »Jetzt? Im Wagen war er doch ganz mobil! Legt sich der Kerl am hellichten Tag in die Federn! Na, den werd' ich aufschwänzen …«
    Er wollte umkehren und die große Treppe hinauf zu den Schlafzimmern laufen, wo man auch ein Fremdenzimmer hergerichtet hatte. Der alte Schuh stand dort auf einem Tisch.
    »Wirf ihn weg!« hatte Andreas gefleht, als Luise ihn dort abstellte.
    »Wirf ihn einfach weg, Ma … vielleicht ist dann alles vorbei …«
    Aber sie hatte nicht den Mut dazu gehabt. Wer wußte, welche Reaktionen so etwas auslöste?
    Luise trat ihrem Mann in den Weg und zog ihn etwas zur Seite.
    »Laß Benno hier«, sagte sie eindringlich. Ihre Stimme schwankte dabei dicht am Rande eines Schreies. »Bitte, laß ihn hier. Er … er sieht nicht gut aus … vielleicht ist er krank.«
    »Krank? Ein fauler Sack ist er! So war er immer. Pennen war seine halbe Welt und Glückseligkeit. Nein, meine Liebe, jetzt, wo er unser Gast ist, soll er auch sehen, was aus dem kleinen, milchbärtigen Oberleutnant geworden ist …«
    Mit hängenden Armen, unfähig, einzugreifen, mußte Luise zusehen, wie Sassner den alten Schuh herunterholte, ihn unter den Arm klemmte und hinaus zu seinem Wagen ging. Sie sah, wie der Chauffeur vor Erstaunen vergaß, seine gezogene Mütze wieder aufzusetzen, sah Sassner sprechen – sicherlich stellte er seinen Freund vor –, sah, wie der Chauffeur hilflos zu ihr herüberblickte, und sie hatte noch die Kraft, ihm zuzuwinken, mit beiden Handflächen: Fahren Sie ab! Mein Gott, fahren Sie schon! Fragen Sie nicht … wer kann Ihnen denn hier noch eine Antwort geben …
    Dann blickte sie dem Wagen nach, lehnte weinend den Kopf gegen die Mauer und biß sich in die geballte Faust, um nicht aufzuschreien. Die Kinder waren in der Schule, sie war nun ganz allein, und es gab niemanden, den sie fragen konnte, der ihr einen Rat gab, der einen Teil der Last von ihr nahm.
    In einer halben Stunde erreichte Sassner die Fabrik.
    Zehn Minuten später würden die Direktoren vor ihm stehen, fassungslos auf einen alten, zerfetzten Schuh starren, um zwölf Uhr würde Sassner den großen Konferenzsaal betreten, der zu einem Speisesaal umgewandelt worden war, und er würde den alten Schuh auf einen Stuhl setzen und die Gäste einzeln vorstellen: Monsieur Latour, Mr. Higgins, Mr. Dorfield, Madame Lachaine, Exzellenz Subandria von der indonesischen Botschaft, Pandit Narumu vom indischen Handelsministerium … und sie alle würden an dem alten Schuh vorbeiziehen …
    »Nein!« Luise stieß sich von der Wand ab, warf die Haustür zu und rannte in den Salon. »Um Gottes willen, nein!« Sie schrie es gegen die seidenbespannten Wände, als gäbe es eine Macht, die ihr Jammer rühren könnte. »Das darf nicht geschehen. O nein … nein … nein …«
    Sie setzte sich ans Telefon und rief den Hausarzt, Dr. Hannsmann an. Wie die Erlösung von einem würgenden Griff war es, als sie seine tiefe Stimme hörte.
    »Sie müssen helfen, Doktor …« schrie sie ins Telefon. »Sofort … schnell … ehe es eine Katastrophe gibt. Fahren Sie in die Fabrik … halten Sie meinen Mann zurück … ja … bitte, bitte … Mein … mein Mann ist geisteskrank geworden …«
    Sie ließ den Hörer fallen und weinte laut und jammernd. Zurückgeworfen im Sessel, die Arme herunterpendelnd, lag sie da und aller Jammer in ihr brach heraus.
    Dr. Hannsmann war schneller in der Fabrik als Gerd Sassner. Er wohnte näher und fuhr außerdem nach diesem Telefonat wie ein Besessener. Noch konnte er sich kein Bild machen, was ihn erwartete, aber der Verzweiflungsschrei Luise Sassners war echt, ihre Mitteilung, Sassner sei plötzlich geisteskrank geworden, klang überzeugend, nicht bloß hingeworfen in einer momentanen Erregung, wie es Frauen oft tun nach einem Ehekrach. Schon diese Version war absurd, denn solange Dr. Hannsmann der Hausarzt der Familie Sassner war, und das waren nun vierzehn Jahre, hatte es noch keinen Ehekrach gegeben. »Sie sind bis jetzt das einzige Ehepaar, das ich kenne, das sich noch so benimmt, wie am ersten Tag der großen Liebe – und das nach siebzehn Jahren«, hatte Dr. Hannsmann einmal bei einer Flasche Wein zu den Sassners gesagt. Und Gerd Sassner hatte mit sichtlichem Stolz geantwortet: »Wer hat auch in Ihrem Bekanntenkreis eine solche Frau wie ich?«
    Man mußte ihm neidlos recht geben.
    Zehn Minuten vor Sassner traf Dr. Hannsmann in der Fabrik
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher