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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf …«
    »Ja Ma …«
    Gerd Sassner saß noch auf der Bank vor dem Haus und rauchte eine seiner Pfeifen. Eine nicht angebrannte Zigarette lag vor dem alten Schuh. Es sah aus, als sei sie in eines der Löcher im Leder gesteckt. Ein Schuh mit einer Zigarette. Um Luises Herz legte sich eine Klammer des Entsetzens.
    »Gerd …« sagte sie leise.
    »Ja?« Sassner wandte den Kopf und legte seine rechte Hand über den alten Schuh. »Können wir bald essen?«
    »In einer Viertelstunde.«
    Sassner hob die Nase und schnupperte. Aus dem Küchenfenster zog der Duft von gebratenem Fleisch.
    »Koteletts!«
    »Ja, Gerd.«
    »Benno war immer ein großer Kotelettesser! Was Benno?« Er streichelte den alten zerfetzten Schuh. »Und was gibt's dazu?«
    »Bohnen …« sagte Luise mit aller Tapferkeit.
    »Bohnen! Benno … Bohnen! Grüne Bohnen! Habe ich nicht eine fabelhafte Frau?« Er sah Luise aus leuchtenden Augen an. Die Dankbarkeit eines Tieres, dachte sie erschrocken. So sieht ein Hund einen Menschen an, wenn er einen Knochen bekommen hat. Sie setzte sich neben den alten Schuh auf die Bank und versuchte, nach Sassners Hand zu tasten. Er zog sie zurück … als sie den Schuh berührte, zuckte sie zusammen, als habe sie in Feuer gegriffen.
    »Fühlst du dich schlecht?« fragte sie und zwang sich, ohne Zittern zu sprechen.
    »Schlecht? Blendend geht es mir! Wenn sich zwei alte Kameraden wieder treffen … nach zweiundzwanzig Jahren … Benno, was wissen die Frauen, was Freundschaft ist? Freundschaft unter Frauen … die gibt es nicht! Da ist eine der anderen Neidhammel! Aber unter Männern, Benno, was … da kann eine Kameradschaft das Leben retten! Da sind zwei echte Freunde wie ein Rammbock, der jede Mauer niederreißt! Luise …« Sassner beugte sich über den Schuh zu ihr hinüber. Seine Augen leuchteten unnatürlich. »Ich kann es dir jetzt nach siebzehn Jahren gestehen: Benno hatte eine Schwester. Bildhübsch, schwarze Locken, damals achtzehn Jahre alt. Eine Sünde von einem Mädchen. Ich wollte sie heiraten, nach dem Krieg, wenn wir ihn gewonnen hätten und ich als stolzer Hauptmann oder Major zurückkehrte. 1944 erstickte sie in einem Keller in Berlin. Sie hatte eine Tante besucht und kam in einen Luftangriff hinein. Der ganze Wohnblock fiel über sie … Luftmine. Sie hieß Angela. Der Engel. Dann rettete mir Benno das Leben an der Rollbahn bei Baranowitschi. Und nun ist er unser Gast. Du weißt gar nicht, wie ich mich freue …«
    »Ich weiß es, Gerd …« Sie betrachtete den alten, zerrissenen Schuh mit der Zigarette. Dann glitt ihr Blick zu ihrem Mann zurück. Wie verklärt sah er in den blauen Maihimmel und stieß dicke Qualmwolken aus seiner Pfeife.
    »Komm«, sagte sie, nahm mit bebenden Händen den alten Schuh von der Bank und wandte sich ab. »Wir können essen …«
    So betrat sie das Wohnzimmer, wo Andreas und Dorle schon am Tisch saßen. Mit großen Augen sahen sie zu, wie Luise den Schuh auf einen freien Stuhl neben den Vater setzte und eine neue weiße Serviette über ihn deckte. Mit zufriedenem Lächeln nickte Sassner jedem zu. Er entkorkte eine Flasche Wein, goß die Gläser voll, auch das Glas vor dem Schuh, und hob dann seinen Pokal.
    »Wir begrüßen meinen lieben Freund! Prost … und guten Appetit.«
    Es war ein trauriges Essen. Nur Gerd Sassner aß mit echtem Anglerappetit … er schien nicht zu sehen, wie seine Frau und seine Kinder in die Teller weinten.
    Der Tag endete gespenstisch.
    Die Familie Sassner erlebte einen Abend und eine Nacht, die sie das Gruseln lehrte. Nicht, daß Gerd Sassner gewalttätig wurde, daß er wieder brüllte, was er – so erinnerten sich Luise, Dorle und Andreas – noch nie getan hatte, solange sie denken konnten, oh, gar nicht – er war freundlich, lustig sogar, er scherzte mit Luise und den Kindern, die sich steif machten, wenn er sie berührte, umfaßte, an sich zog, streichelte, denn bei allem, was er tat, sprach er zu seinem ›Freund Benno Berneck‹ im Tone eines glücklichen Familienvaters.
    »Habe ich nicht eine hübsche Tochter? Sie gleicht der Mutter wie eine Nachtigall der anderen! Du hättest Luise als junges Mädchen sehen sollen … daß so etwas aus der Trümmerwüste von Köln wuchs, daß soviel Schönheit inmitten von Ruinen blühte, das war ergreifend. Und mein Junge … komm her, Andreas … ein kluges Kerlchen, sage ich dir. Bringt in Latein nur Zweier nach Hause. Und das mir! Fällt völlig aus der Art. Nur in Mathematik hat er den Vater bald
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