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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul
Autoren: Jörg Fauser
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Personenfahndung. Von jemandem, der meine verschwundene Tochter bergen will, erwarte ich doch etwas mehr.«
    Ich stand langsam auf, ging aber nicht, wie sie erwartet hatte, auf sie zu, sondern zur Fensterfront. Ich machte einen Zug aus der Zigarette und schnippte die Asche auf den Perserteppich. An dem mit Stahlplatten verschalten Bungalow gegenüber glühte überm Eingang eine pinkfarbene Neonröhre in Form eines Herzens.
    »Nett«, sagte ich. »Sie und Miriam hier oben, der böse Papi ist endlich aus dem Haus, da kommt Freude auf. Zum Leben braucht man ja nicht mehr viel, wenn man das hier hat, ein bißchen Obst aus dem Garten, wer auf dem Land lebt, lebt reell. Wunderbar, wie man auch heute noch seine eigene kleine Märchenwelt haben kann, fünf Minuten von der B 217, eine halbe Stunde nach Hannover, soviel ist vom Wald ja noch da. Und der böse, böse Papi mit der bösen, bösen Politik ist weit, weit weg. Überhaupt die böse, böse Welt.« Ich drehte mich um. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Der Hund, der in einem Korb in der Eßecke lag, grunzte im Schlaf. »Und dann wird das kleine Töchterchen doch mal größer, und irgendwann ist dann auch die böse Welt wieder da, mitten im Haus. Sie können sich mitten im Deister in einem Atombunker einbuddeln, Verehrteste, und die böse Welt wird doch dabei sein. Sie ist nämlich in Ihrem Kopf. Und wenn Ihre Tochter einen Kopf hat, dann ist sie auch in ihrem Kopf. Kommen Sie mir also nicht mit irgendeiner Entschlossenheit, die Sie von mir erwarten. Geben Sie erst mal mit größter Entschlossenheit zu, daß Ihre Tochter verschwunden ist und daß Sie keine Ahnung haben, warum, wohin und wie lange noch, und daß Ihnen das weh tut, verdammt weh tut, und daß Sie schlichtweg Angst haben, ganz dicke, große, fette Angst, daß dahinter irgend etwas steckt, was Ihr Leben noch ganz furchtbar verändern kann. So verändern kann, daß es kaputtgeht davon. Deshalb sind Sie nicht zur Polizei gegangen, und deshalb klammern Sie sich an die Vorstellung, Ihr Exmann hätte seine Finger im Spiel. Und deshalb haben Sie auf meine Annonce reagiert. Sie brauchen jemand, der Ihre Angst übernimmt. So, und jetzt geben Sie mir mal einen Wodka. Pur, vierstöckig und mit Eis.«
     
    Sie gab mir den Wodka und ein Foto von Miriam, das sie schon bereitliegen hatte, und dann ließ sie sich auf dem Sofa-Diwan nieder, den Rücken an ein Polster gelehnt, die Füße, die in goldenen Ballettschuhen steckten, am Kopf des Hundes, der zu ihr getappt war, als er gespürt hatte, daß Frauchen ihn brauchte. Die Augen auf die rauchige Dämmerung geheftet, erzählte sie mir von ihrer Tochter, aber viel kam nicht dabei heraus. Ich meine, wessen Tochter war schließlich nicht sensibel und künstlerisch veranlagt und tierlieb und religiös und unheimlich bewußt, was die große Krise der Zivilisation betraf, wenn man ihr das bißchen Welt nahebringen konnte, das sie dafür brauchte? Annas Internat kostete achthundert Eier im Monat, und ich hoffte, daß ihr die Engländer etwas mehr beibrachten. Miriam hatte die Schule schon vor einem Jahr geschmissen.
    »Warum?«
    »Sie glaubte, daß sie das nicht brauchte, was sie dort lernen sollte.«
    »Ohne Abitur steht sie aber dumm da.«
    »Sie haben doch auch kein Abitur.«
    »Ich bin aber auch nicht besonders sensibel. Was will Miriam denn werden?«
    »Auf jeden Fall etwas, bei dem eine andere Art von Kreativität verlangt wird als auf der Schule. Ich wollte sie jedenfalls nicht zwingen, in irgendeine Richtung zu gehen.«
    »In irgendeine Richtung ist sie aber gegangen, als sie hier verschwand. Nimmt sie Drogen?«
    »Tun wir das nicht alle, Harder?«
    »Möglich. Ist sie abhängig?«
    Sie dachte einen Augenblick nach. »Sie braucht Zuneigung, wie Blumen Wasser brauchen.«
    »Ah ja.« Ich betrachtete das Mädchen auf dem Foto. Es war ein 9 × 13-Abzug, und die Aufnahme war von jemandem gemacht worden, der Ahnung vom Fotografieren hatte und das Mädchen kannte, denn er hatte ihr Gesicht so getroffen, daß das, was sein Vorteil war – die Lebendigkeit der Augen und des Mundes – sofort auffiel. Das Lächeln war wirklich hinreißend, die Ähnlichkeit mit dem der Mutter frappierend. So lächelte man nur für jemand, den man gern hatte.
    »Was ist das für eine Haarfarbe? Brünett? Rot?«
    »Sie hat dunkle Haare, Harder.«
    »Von ihrem Vater, nehme ich an.«
    »Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.«
    »Haben Sie sich vielleicht schon darüber Gedanken gemacht,
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