Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul
Autoren: Jörg Fauser
Vom Netzwerk:
viele, daß ich mir schon einen Anrufbeantworter zulegen müßte.«
    »Aber Sie leben von dieser – hm – Arbeit?«
    »Sonst säße ich nicht hier.«
    »Verstehen Sie sie als eine Art Lebensberatung?«
    »Ich ziehe den Ausdruck Krisenhilfe vor.«
    »Aber es gibt keine Referenzen, keine Legitimationen bei dieser Arbeit. Niemand ist verpflichtet, Ihnen eine Auskunft zu geben.«
    »Sie wären überrascht, was man alles erfährt, auch wenn man kein amtliches Dokument vorlegen kann. Aber wenn es Ihnen um Referenzen geht – rufen Sie Kriminaloberrat Smetana bei der Berliner Kripo an, der kann Ihnen zumindest garantieren, daß ich meine Spesenabrechnung machen kann, ohne mehr als zehn Orthographiefehler reinzubringen. Und daß ich die Schnauze halten kann. Daß ich nicht mit Ihrem Silberbesteck abhaue, wird er Ihnen allerdings nicht garantieren.«
    »Sie arbeiten also mit der Polizei zusammen?«
    »So einen Job macht man nicht, ohne bestimmte Leute zu kennen. Sie segeln auch nicht ohne Kompaß.«
    »Nein? Aber in diesem Fall darf die Polizei nichts erfahren.«
    »Warum sagen Sie mir nicht, worum es geht?«
    »Jedenfalls nicht um mein Silberbesteck.«
    »Das hätte mich auch nicht interessiert.«
    »Ach, Sie nehmen nicht jeden, der zu Ihnen kommt?«
    »Nein. Sie?«
    Wir starrten uns einen Augenblick lang an, dann rang sie sich ein Lächeln ab. Es war kompliziert, weil das ganze Gesicht damit zu tun hatte, aber als es da war, bekam ich einen trockenen Mund.
    »Vielleicht sind Sie doch der Richtige für diese Arbeit«, sagte sie.
    »Dann engagieren Sie mich also, Frau Schäfer-Scheunemann?«
    »Sagen Sie bitte Nora, Harder. Zumindest erzähle ich Ihnen, worum es geht. Meine Tochter ist verschwunden.«

3
    »Paul und ich heirateten, als Miriam unterwegs war«, erzählte Nora Schäfer-Scheunemann. »Mein Mann war vierzig, ich zweiundzwanzig. Es war vielleicht nicht gerade das, was man eine Liebesheirat nennt, aber diese Ehe schien doch eine lohnende Aufgabe für mich zu sein. Ich ließ mich, wenn Sie den Ausdruck noch kennen, in eine Pflicht nehmen. Wo ich herkomme, galt das noch etwas.«
    »Wann war das?«
    »Miriam kam im Dezember 1965 zur Welt.«
    Dann wurde sie also nächsten Monat neunzehn, und ich war drei Jahre jünger als die Blondine, die so tat, als stamme sie aus der fernen fremden Welt der Weifen.
    »Woher kannten Sie Ihren Mann?«
    »Paul war damals noch in der Baubranche. Ich hatte meine Eltern verloren und mußte mir selbst meinen Lebensunterhalt verdienen, und im April 1964 fing ich als Sekretärin in Pauls Firma an. Pinggel & Scheunemann, Hannover. Pinggel war schon seit den fünfziger Jahren groß im Geschäft, sozialer Wohnungsbau. Paul war als Architekt in die Firma eingetreten und wurde dann Pinggels Kompagnon. Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre wußten sie gar nicht, wie sie die Siedlungen so schnell hochziehen sollten. Es war ein richtiger Boom, aber es ging dann auch sehr fix zu Ende, als sie sich finanziell übernahmen. 1971 kam der geschäftliche Zusammenbruch. Pinggel ging später ins Investmentgeschäft, er sitzt heute irgendwo in der Karibik und kämpft gegen seine Auslieferung. Paul ging in die Politik. 1978 ließ ich mich scheiden, aber die Ehe bestand damals schon lange nur noch auf dem Papier.«
    »Hatten Sie sich auseinandergelebt?«
    »Mein lieber Harder, als Journalist werden Sie das ja wohl nachvollziehen können. Politik aus nächster Nähe beobachten zu müssen, dieses widerliche Geschäft …«
    »Schmutzig ist es schon«, sagte ich. »Wie nahe war denn die nächste Nähe?«
    »Paul hat es nicht ganz nach oben gebracht, aber er mußte natürlich da mitmischen, wo es um Geld ging. Er sah sich als Abgeordneter oder Minister in Bonn, und diese Leute haben immer nur seine Verbindungen und seine Möglichkeiten ausgenützt, um ihre Kassen aufzufüllen. Und dafür haben sie ihn auch noch verachtet, diese Gewerkschaftssekretäre und kleinen fetten Parteibonzen, diese unappetitlichen Raffkes …«
    Soviel Ekel konnte nicht nur gespielt sein, aber je länger sie mit ihm spielte, desto mehr entstellte er sie. »Kein Wunder, daß Sie das irgendwann satt hatten«, unterbrach ich sie. »Demokratie ist wirklich nicht gut für den Teint.«
    Sie brauchte einen Augenblick, aber dann konnte sie schon fast wieder lächeln. »Sie sind auch ein Zyniker«, sagte sie, »aber mit dieser Art Zynismus kann ich umgehen. Mit Pauls Zynismus ging es nicht.«
    »Aber dieses Haus hatten Sie damals
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher