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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul
Autoren: Jörg Fauser
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Drogistenblätter, die Lesemappenblätter und die Regionalbeilagen, die Welt der Beilage war ja noch keineswegs restlos ausgeleuchtet. Vernünftige Arbeit, lallte Otto, nicht diese Wichse, diese Kabel/Fernseh/Filmwichse, mach dich doch nicht zum dumpfen Knecht, denk an Le Grand Vladimir – wenn sie glauben, daß du fertig bist, fängst du erst an. Mach’s gut, Otto.
    Salz, Zitrone, Bier – solange du das hast, dachte ich, stehst du noch. Ich hatte noch mehr. Ich holte den Scheck und strich ihn glatt. An einer Stelle hatte er etwas von Ottos Lütje Lage abbekommen, aber sonst war er in Ordnung. Er versprach eine gewisse Sicherheit. War ich auch schon security-bedürftig? Mich juckte es in allen Fingern nach Arbeit. Solides Handwerk, von der Pike auf. Texte aller Art. Aber vorher brauchte ich etwas anderes. So war es immer gewesen, die große Sause, das gewaltige Aufbäumen, und dann der Text. Aber erst noch die Frau. Ich griff zum Telefon, als es klingelte. Nuchali. Herrgott Harder, Nuchali ist tot. Tot, tot, tot.
    »Harder?«
    Es war Oskar Luckenrieder.
    »Ich wollte dir nur sagen, Harder, falls du da was auf der Pfanne hast inzwischen, du weißt schon, wegen neulich, vergiß es. Ich bin ausgestiegen.«
    Wovon redete er? »Wovon redest du, Oskar?«
    »Ich bin ausgestiegen aus dem Verein. Verstehst du, da mach ich denen schon den Wahlkampf ganz aufklärungsmäßig, bescheiden, argumentativ, sparsam, und dann heißt es, dein Konzept ist der Basis nicht vermittelbar, du bist der Basis nicht vermittelbar. Ja leck mich doch, diese Basis ist doch mir gar nicht vermittelbar, wer ist das denn? Ein Haufen wildgewordener Funktionäre, ist das Basis? Ich hab den Bettel hingeworfen, Harder. Also vergiß es. Außerdem, wen kümmert es, wenn wir von Perversen und Mafiosi regiert werden, von Stinkern und Dämlacks, leck mich doch, das ist eben Demokratie, da kommt doch nur noch Wahnsinn auf, wenn du das mitmachst, und dann bist du nicht mehr vermittelbar. Vergiß es.«
    »Geht nicht«, sagte ich. »Und was machst du jetzt?«
    »Werbung, was sonst? Oder vielleicht geh ich auch nach Australien eine Weile.«
    »Du doch nicht. Du hältst das doch nicht durch, du kannst das Spiel doch nicht nur von der Seitenlinie ansehn.«
    »Red keinen Mist, Harder. Das ist kein Spiel. Das ist Wahnsinn. Das ist mir nicht mehr vermittelbar.«
    »Daß das hier eine Sauerei ist, und daß das unser Ding ist, und daß wir an dieses Rad geflochten sind, davor läufst du doch nicht weg, Oskar.«
    »Ja, wenn du glaubst, dann mach du das doch weiter für mich«, sagte Oskar. Er klang so empört, wie er immer klang, wenn es ihn im Schwitzkasten hatte, das Leben.
    »Laß uns das mal bereden gelegentlich«, sagte ich. »Ich kenne da einen neuen Laden in der Kantstraße, die haben ein sagenhaftes Weißbier.«
    »Weißbier schmeckt nur in Bayern, Harder.«
    »Fängst du jetzt gleich an zu heulen?«
    »Nein, ich glaub nicht. Ich trink ein Weißbier.«
    Er legte auf. Drüben ging wieder eine Etage zu Bruch. Es krachte und donnerte, und Staubschwaden verdunkelten die Straße. Schon wieder das Telefon. Diesmal war es eine Frau. Nora Schäfer-Scheunemann. Jetzt war auch ihre Stimme heiser.
    »Harder«, flüsterte Nora, »ich muß dir das sagen, wem soll ich es denn sonst sagen? Miriam ist wieder weg.«
    »Diesmal mußt du nicht lange suchen«, sagte ich. »Sie ist bei ihrem Vater. Bei dem Mann, den sie für ihren Vater hält. Und hoffentlich immer halten wird. Bei Paul.«
    »In der Trinkerheilanstalt.«
    »Lieber einen falschen Vater in der Trinkerheilanstalt als einen echten Myslisch, Nora. Lieber ein bißchen echte Loyalität als eine Million in kleinen Scheinen.«
    »Ich werde sie ihm wegnehmen«, flüsterte sie.
    »Dann hast du nichts gelernt.«
    »Jetzt bin ich ganz allein.«
    »Nein«, sagte ich. »Du hast ein Tonbandgerät, und du hast zwei Bänder. Die kannst du dir vorspielen, wenn du glaubst, daß du wieder mal ein kleines Jeu wagen müßtest. Bleib lieber allein, Nora, da machst du entschieden weniger Fehler.«
    »Warum bist du nicht hiergeblieben, Harder?«
    »Weil zwischen uns zwei Tote liegen«, sagte ich.
    »Nur zwei?« Ihre Stimme wurde immer heiserer. »Nur zwei läppische Tote? Wie viel Tote liegen denn in der Welt herum, Harder, und kein Mensch kümmert sich um sie?« Ich hörte ein schepperndes Geräusch. Gin On the Rocks. Viel Gin. Sie lachte. »Aber ich glaub dir das auch gar nicht, Harder. Zwei Tote zwischen uns, das ist es nicht, was dich
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