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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul
Autoren: Jörg Fauser
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und aus innerer Überzeugung, dem Gemeinwesen damit einen Dienst zu erweisen, gerne tun. Aber wenn dieser Fall an das Selbstverständnis der Pressefreiheit rührt, dann möchte ich vorher meine Anwälte und die Anwälte der Berliner Journalistenverbände einschalten.«
    Wir führen die Bismarckstraße hinunter. Geradeaus ging es zur Kripo, rechts war ich zu Hause.
    »Quatschen Sie keine Rosinen«, sagte Herr Schmidt. »Sie sind Zeuge in polizeilichen Ermittlungen, basta. Ihre Journalistenverbände würden Sie nicht mal mit dem abgelutschten Ende eines Bleistifts anfassen.«
    Womit er womöglich recht hatte. Vor entscheidenden Aufgaben war auch Friedrich der Große allein.
    »Ich möchte also vorläufig zusammenfassen«, sagte Schmidt um sein Eukalyptusbonbon herum, »daß Herr Harder in diesen Fall verwickelt ist, obwohl Sie, Kollege Smetana, ihn ausdrücklich gewarnt haben und obwohl er keinerlei berufliche Qualifikation für die Tätigkeit besitzt, die er in einer gewerblichen Anzeige angepriesen hat. ›Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle‹ – abgesehn von den rechtlichen und moralischen Aspekten, Herr Harder, die Sie damit aufgeworfen haben, ergibt sich für mich und meine Dienststelle natürlich die Frage: Wer sind Sie überhaupt? Und jetzt möchte ich aussteigen, Herr Kriminaloberrat.«
    Wir ließen ihn an der Ecke Wilmersdorfer Straße zurück, einen kleinen grimmigen Mann mehr unter kleinen grimmigen Männern, die dringend Erholung von sich selbst brauchten. »Wohnen Sie nicht in dieser Gegend, Harder?«
    »Wenn Sie mich an der nächsten Ecke rauslassen, bin ich so gut wie zu Hause. Wer ist denn dieser Herr Schmidt?«
    »Können Sie sich das nicht denken?«
    »Also hat dieser Fall eine politische Dimension.«
    »Ich habe Ihnen einen guten Rat gegeben. Aber Sie mußten ihn ja in den Wind schlagen.«
    »Ich mußte das Mädchen finden, Herr Smetana. Bevor sie auch noch umkam wie Nuchali. Haben Sie den Mörder?«
    Er hielt, und wir starrten uns einen Augenblick an. »Was wollen Sie denn noch, Harder?«
    Ich zuckte die Achseln. »Für die Buddhisten ist alles, was im Leben geschieht, vorherbestimmt. Wir sind an das Rad der Begierden geflochten, und das Rad dreht sich, und wir drehen uns mit ihm. Und wir brauchen Millionen Leben, um endlich von dem Rad runterzukommen.«
    »Und trotzdem zählt das, was Sie jetzt tun, genauso schwer.«
    »Das ist es ja«, sagte ich. »Das Richtige tun, obwohl es sinnlos scheint.«
    »Sie sollten bald mal Urlaub machen«, sagte Smetana. »Sie sehen schon nicht mehr, was vor Ihren Augen liegt.«
    »Was ist das denn?«
    »Sie müssen keinen Mörder finden, Harder. Sie müssen nur herausfinden, wer Sie selbst sind.«
    »Jetzt werden Sie auch noch metaphysisch, Herr Rat. Kann ich das mit dem Urlaub wörtlich nehmen?«
    »Wenn Sie in Berlin bleiben, schon.«
    Ich sah mich um. »Wer will schon Sri Lanka, wenn er Berlin hat«, sagte ich und stieg aus.

40
    Sie mußten am Morgen gekommen sein, um die Brandruine abzureißen. Zwischen dem Seitenflügel und dem Vorderhaus klaffte schon eine breite Lücke, und unter den Schlägen der Abrißbirne sackte das Gemäuer zusammen wie ein angeschlagener Boxer, der die Hände nicht mehr hochnehmen kann. Staub legte sich über die Straße, der sich mit dem Wasser, das sie aus dem Hydranten auf die Grube sprengten, zu einem stickigen Nebel vermischte. Mitten in den Trümmern lag eine blaue Bluse wie eine Blüte, die von einem Regen aus Schutt begossen wurde. Ich wußte, wie das war; auch auf mich regnete Dreck herunter.
    Ich schloß die Balkontür. Der Staub war bestimmt Gift für meine Zimmerpalme. Ich strich über ihre Blätter. Vielleicht bekam ihr das Bier doch. Bestimmt bekam es mir. Ich machte eine Dose auf, streute etwas Salz auf den Deckel, preßte den Saft einer halben Zitrone darüber und schlürfte. Der Druck in meinen Schläfen ließ nach. Unfehlbares Rezept. Nach dem Wochenende mit Kleppinger war ich dankbar dafür. Wir hatten die Altstadt nach Strich und Faden niedergemacht, auf Kippe und Korn, Glas für Glas. Komm nach Hannover, hatte er getönt, bevor ich ihn nach Buchholz brachte zu Frau und Kind und Hypothek und Magengeschwür, ich mach ein Pressebüro auf, ich brauch einen Partner, und ich sah uns schon in unserem Büro in der Königstraße, Agentur Nachtexpress, Otto machte das Lokale und die Politik, und ich sorgte für die Unterhaltung, Serien in Serie, bald fraßen uns die Blätter aus der Hand, die Ärzteblätter, die
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