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Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)

Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)

Titel: Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)
Autoren: Jutta Richter
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trink das, Fiete Feddersen!« Tante Polly hielt ihm die Flasche hin, in der ein kleiner Rest Zitronenlimonade zurückgeblieben war.
    »Ich will nicht trinken!«, knurrte Onkel Fiete.
    »Keine Widerrede!«, befahl Tante Polly.
    Ich war noch nie so froh gewesen, Onkel Fietes Stimme zu hören, und Ole wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Wir müssen ihn stützen, Kinder!«, sagte Tante Polly. »Er muss sofort ins Haus. Das ist ja auch ein Wahnsinn, bei dieser Hitze in der Sonne zu sitzen! Ein Hund ist klüger!«, schimpfte sie.
    Wir machten uns ganz steif und Tante Polly legte Onkel Fietes Arme um unsere Schultern. Wir taten so, als ob wir Krücken wären, und machten feste kleine Schritte über die Wiese, durch den Garten bis zum Haus. Wir führten Onkel Fiete ins Schlafzimmer. Er setzte sich aufs Bett und Tante Polly zog ihm das klebrige Limonadenhemd aus, dann ging sie in die Küche – »Ihr bleibt so lange bei ihm!« – und kam mit einer Wasserschüssel und einem Waschlappen zurück.
    Onkel Fiete hatte eine weiße Hühnerbrust und eine Tätowierung auf dem Oberarm. Es war ein Herz, mit einem Pfeil durchbohrt, darunter stand in Schnörkelschrift ganz groß der Name Polly. Ole und ich mussten grinsen.
    Während Tante Polly Onkel Fiete mit dem kalten Wasser wusch, schimpfte er die ganze Zeit vor sich hin. »So eine Sauerei!«, schimpfte er. »Zitronenlimonade! Und jetzt auch noch das kalte Wasser. Ihr seid doch wohl alle verrückt geworden!«
    Tante Polly zog ihm ein frisches Hemd an.
    »So, Fiete Feddersen, jetzt nimmst du deine Tropfen und dann ruhst du dich aus! Und wehe dir, du bist noch mal so unvernünftig.«
    Onkel Fiete zog hinter ihrem Rücken eine Grimasse und zwinkerte uns zu.
    »Die Kinder sollen aber bei mir bleiben, Frau! Die stören nicht! Sonst sterbe ich dir noch vor Langeweile in diesem Bett!«
    Tante Polly seufzte. »Na gut, du alter Brummbär!«
    Sie sah uns nachdenklich an. »Wollt ihr denn wirklich bei ihm bleiben?«
    Ole und ich nickten.
    »Ja, Tante Polly! Das machen wir gerne!«
    Kaum hatte Tante Polly die Schlafzimmertür hinter sich zugemacht, winkte Onkel Fiete uns zu sich heran.
    »Kommt mal näher, ihr Hosenschisser!« Er klopfte mit der Hand auf Tante Pollys Bettseite.
    »Legt euch mal dahin!«, flüsterte er. »Jetzt kommt nämlich der beste Teil der Geschichte und den kann man nur im Liegen aushalten, besonders wenn man ein Grünschnabel und Hosenschisser ist.«
    »Ich bin kein Hosenschisser!«, zischte Ole.
    »Stimmt, du bist eine Seemannsbraut, wenn’s nach dem Tränenfluss geht! Also, ihr Grünschnäbel, seid ihr bereit?«
    »Ja, Onkel Fiete!«, sagte ich schnell.
    »Wir waren längst in guten Walfanggründen. Jeden Tag sahen wir eine andere Herde Wale. Man erkennt sie am Blasen. Ihr wisst ja, dass Wale Luftatmer sind. Und deshalb tauchen sie ab und zu auf, um zu atmen. Dann stoßen sie die verbrauchte Luft aus einem Loch am Kopf und dabei spritzen sie eine Wasserfontäne in die Höhe. Das sieht aus wie ein Springbrunnen mitten im Meer. Aber ein weißer Wal war nie dabei, das konnten wir durchs Fernrohr ganz genau erkennen.
    Eines Morgens kam Queequeg nicht an Deck. Ich wunderte mich, weil wir am Abend zuvor noch Karten gespielt hatten. Gegen Mittag ging ich in den Mannschaftsraum, um nachzusehen. Queequeq lag in seiner Hängematte. Er krümmte sich vor Schmerzen, stöhnte und redete wirres Zeug in seiner Heimatsprache. Ich legte meine Hand auf seine Stirn. Queequeg glühte und seine Zähne klapperten gleichzeitig vor Kälte. Es war der Schüttelfrost, der ihn gepackt hatte. Es schüttelte ihn tagelang und schließlich war mein Blutsbruder dem Tode näher als dem Leben. Dabei wurde er jeden Tag weniger, bis am Ende nicht viel mehr übrig war als ein tätowiertes Gerippe. Seine Backenknochen traten scharf hervor, seine Augen wurden immer größer und bekamen einen merkwürdig sanften Glanz. Während der Morgenwache, als der fünfte Tag graute, rief mich Queequeg zu sich. Er nahm meine Hand und sagte, in Nantucket habe er kleine Kanus aus schwarzem Holz gesehen. Auf seine Frage habe er erfahren, dass alle Walfänger, die in Nantucket sterben, in diesen Kanus aufgebahrt würden.
    In einem solchen Kanu wollte auch Queequeg auf die letzte große Reise zu den Sternen-Inseln gehen. In seiner Heimat glaubt man nämlich nicht nur, dass die Sterne Inseln sind, sondern auch, dass weit hinter dem Horizont ein stilles, uferloses Meer liegt, das in den weiten blauen Himmel
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