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Das Schapdetten-Virus

Das Schapdetten-Virus

Titel: Das Schapdetten-Virus
Autoren: Juergen Kehrer
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Zynismus, Georg!«, wies mich Max zurecht. »Eure Aufgabe besteht darin, die Außenanlagen zu sichern. Personen, die sich in der Nähe der Zäune aufhalten, sind aufzufordern, sich zu entfernen. Bei einem gewaltsamen Angriff verständigt ihr sofort die Polizei. Die Pistolen dienen ausschließlich zur Selbstverteidigung. Also bitte nur in Notwehr schießen! Sonst noch Fragen?«
    »Wann geht der Job los?«, fragte Koslowski, der mehr in praktischen Kategorien dachte.
    »Gut, dass du darauf zu sprechen kommst, Hjalmar«, antwortete der kümmerliche Adelsspross. »Unser Einsatz beginnt heute Abend um achtzehn Uhr. Ich dachte, dass du zusammen mit Wilsberg die ersten fünf Nachtschichten übernimmst. Damit könnt ihr euch für das Desaster von gestern Abend rehabilitieren.«
    »Habilitieren?«, fragte Koslowski.
    »Einspruch«, sagte ich. »Aufgrund meiner Verletzungen bin ich körperlich nicht voll einsatzbereit. Ich möchte ein paar Tage Freizeitausgleich beantragen.«
    »Abgelehnt«, sagte Sigi. »Ich wüsste nicht, dass dir noch irgendwelcher Freizeitausgleich zusteht.«
     
    Auf der Promenade führten Tierbesitzer ihre Hunde, Schlangen und Warane spazieren. Inlineskater und Fahrradfahrer verursachten Verkehrsstaus. Vor jeder Kneipe, Imbissbude und Eisdiele standen ein paar Tische und Stühle auf dem Bürgersteig. Alle verfügbaren Hinterhöfe und Garagenvorplätze hießen jetzt Biergarten. Greise und Teenies trugen nur noch die allernotwendigsten Kleidungsstücke. Münster war, ähnlich wie Castrop-Rauxel oder Herne-Eickel, im Frühsommer am schönsten.
    Besonders ausgeprägt war das südländische Lebensgefühl im Kreuzviertel. Hier lebte die Toskana-Fraktion der münsterschen Bevölkerung: Studienräte, Ärzte, Richter und ihre zeitweiligen Lebensgefährten. Rund um die Kreuzkirche bestellte man den Cappuccino und die Spaghetti alla vongole in fließendem Italienisch, auch wenn die Kellner in den Pizzerien und Osterias meist aus Kroatien oder Griechenland stammten.
    Im Moment konnte mich der Flair meiner engeren Wahlheimat wenig erfreuen. Meinen desillusionierten Gesichtsausdruck hinter einer Sonnenbrille versteckend, schlurfte ich an der eiskaffeetrinkenden Halbtagsschickeria vorbei. Nüchtern betrachtet, und seit dem Ende der Betriebsversammlung betrachtete ich meine Situation sehr nüchtern, befand ich mich an einem Tiefpunkt meiner Karriere. Vom ehrgeizigen Rechtsanwalt zum Nachtwächter, vom selbstbewussten Besitzer eines Briefmarkenladens und Secondhandkaufhauses zum devoten Befehlsempfänger, der um einen Tag Erholung bettelt – das musste mir erst mal jemand nachmachen.
    Ich verspürte große Lust, den Job zu schmeißen, einfach zu kündigen. Noch einmal ganz von vorne anzufangen, als Kaufhausdetektiv oder Inhaber einer eigenen, kleinen Agentur. Sobald ich den Kopf frei und ein bisschen Luft auf dem Konto hatte, würde ich konkretere Pläne entwerfen. Vielleicht ließ sich Koslowski überreden, bei mir einzusteigen. Mit dem blonden Hünen an meiner Seite konnte ich auch heiklere Aufträge übernehmen, überfällige Rechnungen eintreiben, zum Beispiel, oder säumigen Ratenzahlern die Videorekorder und Autos wieder abnehmen, Jobs, vor denen sich die meisten meiner Berufskollegen drückten.
    Meine Wohnung lag etwas abseits vom Kreuzviertel-Kiez, in einer ruhigen Nebenstraße. Ich hatte sie zusammen mit Imke gemietet, meiner inzwischen rechtmäßig von mir geschiedenen Ehefrau. Imke und unsere Tochter Sarah lebten jetzt bei ihren Eltern in Ascheberg, und da ich mir allein keine vier Zimmer in bester Wohnlage leisten konnte, hatte ich ein Zimmer an einen Studenten untervermietet.
    Ächzend schleppte ich mich die Haustreppe hinauf. Langsam machte mir auch das Alter zu schaffen. Früher hatte ich kleinere Blessuren leichter weggesteckt.
    Ich schloss die Wohnungstür auf. Drinnen war es ruhig. Im Leben meines Untermieters hatte sich ein einschneidender Wandel vollzogen, als sein Vater ihm die Übernahme der familieneigenen Fensterrahmenfabrik im heimischen Seppenrade angeboten hatte. Vorbei die vor- und nachmittäglichen Orgien, vorbei aller Müßiggang und alle Faulenzerei. Jan war monogam geworden, wechselte von Pädagogik zu Betriebswirtschaft, kleidete sich nicht mehr im Stil der späten Flower-Power-Zeit, sondern wie ein Handy-Halter auf Kundenfang. Mit anderen Worten: Er hatte sich zu einem elenden Streber entwickelt.
    Ich ging in die Küche, um mir ein Butterbrot zu schmieren.
    Die Margarinedose war neu,
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