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Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Titel: Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Autoren: Emrah Serbes
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    Es waren noch fünfundvierzig Minuten bis zum neuen Jahr. Jetzt, nach der Bereitschaftsübergabe, war Behzat Ç auf dem Weg zu Hüseyins Kneipe. Es fiel ein mieser Schnee, der sich beim ersten Bodenkontakt in Matsch verwandelte. Hüseyin hatte ihn aus unverbindlicher Freundschaft heraus eingeladen, mit ihm zwei Doppelte zu trinken und gemeinsam ins neue Jahr zu feiern. Als er den Wagen über die Mithat-Paşa-Straße in Richtung Sakarya steuerte, war er sich nicht nur bewußt, irgend etwas vergessen zu haben, sondern auch, daß es ihm nicht unmittelbar wieder einfallen würde. Sobald er sich nur festlegen könnte, ob es sich um eine Sache handelte, die er zu erledigen hatte, oder um ein Wort, wäre es ein Leichtes, sich zu erinnern. Seine Vergeßlichkeit rief in ihm weniger Besorgnis als vielmehr ein Gefühl des Mangels hervor. Wenn er sich überhaupt Sorgen machte, dann darum, wie er auf der Heimfahrt bei diesem Schnee heil nach Dikmen gelangen sollte.
    Um nicht ins Schleudern zu geraten, verlangsamte er und schaltete auf den zweiten Gang runter. Auf der Sakarya fanden die Menschen keinen Platz mehr in den Bars und Kneipen und drängten sich stattdessen auf den Gehwegen. Er wollte gerade einbiegen, da prallte ein Mann mit einer seltsamen Last gegen seine Kühlerhaube und lief weiter, als wäre nichts geschehen, als müßte er um sein Leben rennen. Er schaute in den Rückspiegel; hinter dem Mann lief jemand her. Bestimmt zwei Besoffene, dachte er, sinnlos, da einzuschreiten. Als er sah, daß es sich bei der Last des flüchtenden Mannes um ein Kind von sechs oder sieben Jahren handelte, bremste er ab und schaltete den Warnblinker an. Der Wagen rutschte leicht weg und kam ein wenig schräg zum Stehen. Als er ausstieg, sah er in der Hand des Verfolgers ein Messer aufblitzen, er kam zu spät, sie hatten rund 30 Meter Vorsprung. Er tastete nach seiner Waffe und begann zu laufen. Vor dem Postamt von Yenişehir verlor er die beiden Männer aus den Augen.
    Die Gehsteige waren vereist. Er mußte sich sehr anstrengen, um zwischen den Menschentrauben nicht auszurutschen. Dafür lief er recht schnell. Ein Mann, den er anrempelte, beleidigte ihn, aber er drehte sich nicht einmal zurück, um ihm eine Antwort zu verpassen. So waren die Fußgänger in Ankara, wenn man es eilig hatte, verstellten sie einem den Weg. Als er seine Waffe zog, wurde das Gemurre weniger und die Bahn vor ihm freier. Er fand die beiden Männer, die er verloren hatte, vor einem Kaufhaus wieder. Einer von ihnen war zusammengesunken und versuchte mit den Armen die Messerstiche abzuwehren, die in schneller Reihenfolge auf ihn niedergingen. Aus dem Mund in seinem schmerzverzerrten Gesicht rann Blut. Das kleine Mädchen direkt neben ihm schrie wie am Spieß, die Messerstiche prasselten weiter auf den Bauch des Mannes ein, als sei er ein Sandsack. Behzat Ç schrie: »Messer weg, Polizei!«
    Er war völlig außer Atem und spürte den Puls an seinem Hals pochen. Er entsicherte seine Waffe und lud durch. Der Lauf zielte auf das Bein des Messerstechers, sein Abzugsfinger verkrampfte sich. Er gab einen Warnschuß ab und richtete die Waffe wieder auf den Mann. Eine Frau, die aus nächster Nähe zusah, stieß einen schrillen Schrei aus, der Messerstecher hielt einen Augenblick inne.
    »Polizei! Messer weg!«
    Der Mann mit dem Messer guckte ihn blöd an. Behzat Ç wiederholte: »Messer weg, Polizei!«
    Der Mann ließ das Messer los.
    »Hinlegen! Hinlegen, Mann, sofort hinlegen!«
    Als der Mann sich auf den Boden legte, war er in Windeseile bei ihm.
    »Kopf unten lassen. Laß bloß den Kopf unten!«
    Er sah, daß der Mann am Boden Anstalten machte, sich zu bewegen, und verpaßte ihm mit dem Spann einen solchen Tritt, daß er, wäre er ein Ball gewesen, gleich noch den Torwart mitgerissen hätte. Die Frau, die soeben aufgekreischt hatte, zog jetzt den Mann neben ihr am Arm.
    »Laß uns gehen, sonst müssen wir noch als Zeugen aussagen!«
    Kommissar Ismet von der Mordkommission war trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch der erste Beamte vor Ort, wenn es Verletzte oder Tote gab. Er verstand etwas von Medizin und vermochte einzuschätzen, welche Verletzten sterben und der Mordkommission erhalten bleiben würden. Aus diesem Grund wurde er seit langen Jahren mit dem Spitznamen ›der Geier‹ angeredet, an dem er sich nicht groß störte. Er hatte sich auch nie darüber beschwert, daß sein bürgerlicher Name in Vergessenheit geraten war. Er reichte Behzat Ç, der
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