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Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Titel: Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Autoren: Emrah Serbes
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wie menschenleer die Straßen waren. Es war niemand draußen, bis auf die Soldaten, die im Nachtfrost Wache stehen mußten.
    »Zentrale 3340, 4570.«
    Er griff nach dem Funkgerät.
    »4570 hört, Zentrale.«
    »Herr Vorgesetzter, Selbstmordfall Mithat-Paşa-Straße, Ecke Sakarya. Bitte eine Einsatzgruppe vor Ort. Ende.«
    »Verstanden. Ende.«
    Behzat Ç erreichte Harun über Funk.
    »Habt ihr gehört?«
    »Ja, Herr Vorgesetzter. Begeben uns an Tatort.«
    »Wer ist denn bei dir?«
    »Ich, wer sonst.«
    Es war die Stimme des Geiers. Er bremste ab und fuhr rechts ran. Er zündete eine 216 an und blieb im verrauchten Wagen eine Zeitlang unentschlossen sitzen. Er mußte nicht hinfahren. Er würde am Morgen die Protokolle lesen und, falls es Zeugen gab, diese vernehmen. Von den offiziell vierundsechzig Beamten bei der Mordkommission verrichteten nur dreizehn tatsächlich ihren Dienst. Zwölf Männer und eine Frau, die sich um sämtliche Morde, Körperverletzungen und Suizide von ganz Ankara zu kümmern hatten. Er hatte sein Team in zwei Schichten von jeweils zwölf Stunden eingeteilt. Er selbst hatte keinen Schichtdienst. Meistens fuhr er nach Hause, wenn gerade zwischen zwei Fällen etwas freie Zeit blieb, und kehrte zurück, wenn man ihn anrief.
    Als er das Fenster öffnete, strömte mit der kalten Luft der Geruch von Schnee ins Wageninnere. Jedes Jahr nahmen sich Dutzende Polizisten das Leben. Und wenn das einer von ihnen ist? Er mußte an Sezai denken, den ehrlichsten Hauptkommissar, den er je kennengelernt hatte, der noch beim Selbstmord darauf bedacht war, keine Munition aus Staatsmitteln zu vergeuden, und daher auf die Ordonnanzwaffe zurückgriff, die sein Vater einst mit in Pension genommen hatte.
    Er drückte die 216 im Aschenbecher des Wagens aus und schloß das Fenster. An der Kreuzung weiter vorne wendete er. Einsatzleiter Suat hatte heute nacht frei, und sich bei dem Schnee bis nach Dikmen durchzukämpfen wäre mindestens genauso anstrengend, wie sich mit einem Selbstmordfall abzugeben.
    Bis er zum Tatort gelangte, gingen ihm immer dann, wenn gerade keine Rutschgefahr herrschte, böse Gedanken durch den Kopf:
Wenn Berna nicht ans Telefon geht, dann hat sie dafür vielleicht ihre Gründe. So ist das eben, wenn man ein Kind jahrelang vernachlässigt. Das kam damals alles wegen dieses Mordes an dem Gebrauchtwagenhändler. Man kommt doch hinten und vorne nicht mehr zurecht bei dieser Arbeit. Warum sonst sollte ich vergessen, sie anzurufen? Ich muß mich von Kreditkarten fernhalten, sonst werde ich auch eines Tages wie Sezai
… Als er von der Straße der Konstitutionellen Revolution auf die Mithat Paşa einbiegen wollte, schoß blitzschnell ein blutroter Käfer an ihm vorbei. Lange konnte er seinen Blick nicht von dem Auto losreißen. Als Berna noch klein war, zählte sie immer rote Käfer auf der Straße und wünschte sich etwas. Man mußte tagsüber neunundneunzig rote Käfer zählen, und abends vor dem Schlafengehen zehn Sterne, dann ging der Wunsch in Erfüllung. Was für eine verrückte Form von Aberglauben, das könnte doch heute niemand mehr machen, so viele Käfer sind gar nicht mehr auf der Straße, geschweige denn rote. Etwas knallte gegen den rechten Vorderreifen. Er trat auf die Bremse und konnte den Wagen gerade noch fangen, bevor er über den Bordstein ging. Er stieg aus, konnte aber nichts entdecken, es war nur ein kleiner Aufprall gewesen…
    Harun hatte den Einsatzwagen bis vor die Nase der mit Zeitungspapier bedeckten Person gefahren. Am Tatort hatte sich eine Menge Schaulustiger angesammelt, die sich aus den Bars in der Umgebung losgerissen hatten. Trotz all des Alkohols, den sie zu sich genommen hatten, ließen sie sich von den bedrohlichen Blicken des Geiers daran hindern, näher heranzukommen. Er stapfte so schnell auf die Absperrung zu wie ein Kind, das aus Leibeskräften rennt.
    Sofort kam Harun zu ihm: »Herr Vorgesetzter, warum bist du denn hergekommen?«
    »Red nicht so’n Quatsch.«
    Harun war überrascht. Er hielt einen Personalausweis in der Hand. Behzat Ç nahm ihn entgegen, schaute aber nicht darauf.
    »Was hat das Auto hier zu suchen?«
    Harun blickte ihn fragend an, vermutlich hatte er nicht verstanden. Genau das war das Problem, bei der Mordkommission mußte jeder seine Arbeit von der Pike auf lernen. Was ein Tatort war und wie man sich dort verhielt, kapierte man erst mit den Jahren.
    »Sie hat sich an ihrem Geburtstag das Leben genommen.«
    Behzat Ç schaute zuerst zu Harun,
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