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Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur

Titel: Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Autoren: Emrah Serbes
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Lichter des Krankenwagens, als sei er in eine fremde Welt versunken. Da die Stille im Wagen eine nervtötende Atmosphäre verursachte, wandte sich Behzat Ç an den Taxifahrer auf dem Rücksitz: »Warum hast du den Mann umgebracht?«
    »Der hat meine Mutter beleidigt.«
    »Ich hab mit seiner Tochter gesprochen. Hat er nicht.«
    »Gottverdammt, hat er wohl, Herr Kommissar.«
    Harun war endlich zu sich gekommen und grollte mit seiner tiefen Stimme: »Paß auf, wie du mit uns sprichst, Bursche!«
    Der Taxifahrer schwieg. Behzat Ç kippte den Innenspiegel und fragte: »Wie hat der Streit angefangen?«
    »Er hat das Taxameter nicht akzeptiert. Er wollte weniger zahlen.«
    »Wieviel?«
    »Fünf Lira.«
    »Für fünf Lira hast du den Mann umgebracht?«
    Der Taxifahrer blickte auf den Boden. Die Menschenmenge am Eingang des Güven-Parks begann mit dem Countdown. Feuerwerkskörper wurden gezündet; die auf dem Platz versammelten Menschen gingen in großem Durcheinander und mit viel Geschrei ins neue Jahr.
    Behzat Ç betrachtete sich selbst im Innenspiegel. Er sah einen stinknormalen Polizisten. Einen Hauptkommissar bei der Mordkommission, einen Experten für Straftaten gegen das Leben, der kurz vor seiner Pensionierung stand. Die Kinder, die zur Welt gekommen waren, als er diese Arbeit begann, waren heute in dem Alter, in dem Sultan Fatih Mehmet Istanbul erobert hatte, einschließlich seiner eigenen Tochter. Er hatte sich inzwischen scheiden lassen, hatte sich zwar keine große Menschenkenntnis, aber eine umso größere Leichenkenntnis erworben und darüber eine etwas melancholische Natur angenommen. Er hörte nie Musik, sondern immer Polizeifunk. Er las keine Bücher und begann die Tageszeitung mit der Sportseite. Es war, als sei die Redewendung »ein Mensch aus der Mitte der Gesellschaft« ursprünglich auf ihn gemünzt worden. So stinklangweilig war sein Leben.
    Harun berührte ihn an der Schulter.
    »Herr Vorgesetzter, es ist grün.«
    Da er zu stark Gas gab, schoß der Wagen wie ein Pfeil nach vorne. Als sein Mobiltelefon klingelte, fiel ihm plötzlich ein, woran er sich seit zwei Stunden zu erinnern versuchte. Er hatte vergessen, seine Tochter Berna anzurufen. Das Gefühl des Mangels, das ihn die ganze Nacht über beschlichen hatte, wich jetzt dem der Besorgnis. Er versuchte, mit einer Hand am Steuerrad zurechtzukommen und holte sein hartnäckig klingelndes Telefon hervor. Der Anrufer war Hüseyin, der in vorwurfsvollem Ton fragte: »Sag mal, wo bleibst du denn?«
    »Ich muß arbeiten.«
    Er rückte den Innenspiegel zurecht und fuhr weiter. Als er in den dritten Gang hochschaltete, spürte er einmal mehr, daß er diese Arbeit, die er seine Arbeit nannte, ebenso haßte wie sich selbst.

2
    Gönül schaute Behzat Ç an, doch der schaute zur Decke.
    »Hast du Hunger, soll ich dir was zubereiten?«
    Er gab keine Antwort. Er versuchte, aus den Flecken an der Decke eine Weltkarte zusammenzusetzen. Das erste Mal seit Monaten hatte er einen ganzen Tag frei gehabt. Da es nicht zu einem Treffen mit seiner Tochter Berna gekommen war, hatte er hier eine Verschnaufpause eingelegt. Gönül führte ihre Hand über Behzat Çs nackten Bauch spazieren. Er hatte Berna den ganzen Tag über fünfmal angerufen; war es denn möglich, daß sie es einfach nicht gehört hatte? Die ihn sanft streichelnde Hand glitt ein Stück weiter hinab.
    »Möchtest du hierbleiben?«
    Wann war er denn jemals über Nacht geblieben? Er beobachtete Gönül. Drückten sich in dieser Frage etwa Erwartungen aus?
Das fehlte gerade noch
, sagte er zu sich selbst,
Gönül und ich
. Seit er sich von seiner Frau getrennt hatte, war sein Vertrauen zum anderen Geschlecht stark lädiert, aber mit Gönül war es anders. Er wußte nicht genau, was dieses Anderssein ausmachte, witterte es nur undeutlich. Es war anders als jene Emotionen, die wie Strohfeuer entflammten und wieder erloschen, es war ein tief im Innern glühendes, nie verlöschendes Gefühl der Duldsamkeit. Er nahm sie in den Arm und drückte sie ein wenig an sich. Er streichelte ihre auf seinen Hals herabfallenden Haare. Dann stand er auf und zog seine Hose an.
    Seit einer Woche hatte es ununterbrochen geschneit, die Bäume trugen schwere Last, die Gehwege waren weiß eingefärbt. Während die Wischblätter die Schneeflatschen auf der Windschutzscheibe herumschoben, stieg aus seinem Funkgerät eine knisternde Melodie auf. Es war lange nach Mitternacht. Beim Abbiegen am Parlament in die Dikmenstraße fiel ihm auf,
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