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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament
Autoren: Tim Willocks
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Kerzen. Ein schlichtes Holzkreuz war an die Wand genagelt.Oberst Pierre Le Mas war am Morgen aus Messina eingetroffen, mit einer unerwarteten Verstärkung von vierhundert spanischen Soldaten und zweiunddreißig Ordensrittern. Er war ein bulliger, schlachterprobter Seebär Ende Fünfzig. Er nickte Starkey zu und deutete auf die Karte auf dem Tisch.
    »Nur ein Philosoph könnte diese Hieroglyphen entziffern.«
    Die Karte war – zum Kummer Starkeys, der persönlich die feinen Arbeiten an der Kartographie überwacht hatte – dicht mit geheimnisvollen Notizen und Symbolen La Valettes beschrieben. Der Johanniterorden war nach der Nationalität der Mitglieder in acht Zungen – oder Sprachen – aufgeteilt: Frankreich, Provence, Auvergne, Italien, Kastilien, Aragon, Deutschland und England. La Valette fuhr den Verteidigungswall nach, der Birgu in einem großen steinernen Bogen von Westen nach Osten abriegelte, deutete auf die Bastionen, die er den einzelnen Zungen zugewiesen hatte.
    »Frankreich«, sagte er und zeigte auf eine Position am äußersten rechten Rand, gleich bei der Werftbucht. Wie Le Mas stammte La Valette aus jenem überaus kriegerischen Volk der Gascogner. »Unsere edle Zunge der Provence ist die nächste, hier auf der vordersten Bastion.«
    Le Mas erkundigte sich: »Wie viele sind wir aus der Provence?«
    »Siebenundzwanzig Ordensritter und Feldwebel.« La Valettes Finger fuhr auf der Karte weiter nach Westen. »Zu unserer Linken ist die Zunge der Auvergne. Dann die Italiener – einhundertneunundsechzig Lanzen –, dann Aragon. Kastilien. Deutschland. Insgesamt fünfhundertzweiundzwanzig Brüder sind unserem Ruf zu den Waffen gefolgt.«
    Le Mas runzelte die Stirn. Die Zahl war jämmerlich klein.
    La Valette fügte hinzu: »Mit den Männern, die Ihr mitgebracht habt, haben wir achthundert spanische Tercios und vierzig adelige Abenteurer. Die maltesische Miliz zählt ein wenig über fünftausend.«
    »Ich habe gehört, daß Suleiman sechzigtausend Gazi ausgeschickt hat, um uns ins Meer zu treiben.«
    »Einschließlich der Matrosen, der Arbeitsbataillone und Hilfstruppen sind es viel mehr«, erwiderte La Valette. »Die Hunde des Propheten drängen uns nun schon beinahe seit fünfhundert Jahren zurück – von Jerusalem zum Krak des Chevaliers, vom Krak nach Akko, von Akko nach Zypern und Rhodos –, und jede Meile unseres Rückzugs ist mit Blut und Asche gezeichnet. In Rhodos haben wir uns für das Leben und gegen den Tod entschieden, und während die ganze Welt dies als einen glorreichen Schachzug feiert, ist es in meinen Augen eine Schande. Diesmal wird es keine ehrenvolle Niederlage geben. In Malta werden wir bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.«
    Le Mas rieb sich die Hände. »Laßt mich den Anspruch auf den Ehrenposten anmelden.« Damit meinte er den Ort der größten Gefahr. Den Todesposten. Er war nicht der erste, der darum bat, und er wußte das wohl auch, denn er fügte hinzu: »Das schuldet Ihr mir.«
    Worauf er sich damit bezog, war Starkey nicht bekannt, aber irgend etwas war zwischen diesen beiden Männern vorgefallen.
    »Darüber reden wir später«, meinte La Valette, »wenn wir die Absichten Mustafas besser kennen.« Er zeigte auf die Ecken der Befestigungen. »Hier am Kalkara-Tor liegt der Posten Englands.«
    Le Mas lachte. »Ein ganzer Posten für einen einzigen Mann?«
    Die altehrwürdige Zunge Englands, früher einmal eine der großartigsten Zungen des Ordens, war von Heinrich VIII., dem Frauenheld und Erzketzer, völlig zerstört worden. Starkey war der einzige Engländer, der noch im Johanniterorden verblieben war.
    La Valette erwiderte: »Bruder Oliver ist die englische Zunge. Und meine rechte Hand. Ohne ihn wären wir verloren.«
    Verlegen wechselte Starkey das Thema. »Wie schätzt Ihr die Männer ein, die Ihr mitgebracht habt?«
    »Gut ausgebildet, gut ausgerüstet und alle fromme Christen«, antwortete Le Mas. »Ich habe dem Gouverneur von Toledo noch zweihundert Freiwillige abgerungen, indem ich ihm androhte, seine Galeeren zu verbrennen. Die übrigen hat der Deutsche für uns rekrutiert.«
    La Valette zog fragend eine Augenbraue hoch.
    »Mattias Tannhäuser«, antwortete Le Mas.
    Starkey fügte hinzu: »Der uns als erster von den Plänen des Sultans berichtet hat.«
    La Valette schaute ins Leere, als wolle er ein Gesicht heraufbeschwören. Er nickte.
    »Tannhäuser hat diese Nachricht überbracht?« wollte Le Mas wissen.
    »Es war keine Tat der christlichen Nächstenliebe«,
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