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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament
Autoren: Tim Willocks
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wurde im Jahr des Herrn 1540 Mattias, der Sohn des Schmieds, ein Dewschirme : ein Christenjunge, den man bei der Knabenlese eingefangen hatte und der einer der Sklaven des Todes werden würde. Er würde durch viele fremde Länder ziehen und viele seltsame Dinge sehen, ehe die berühmten Minarette des alten Stambul am Goldenen Horn in der Sonne vor ihm aufragten. Weil er getötet hatte, noch ehe er zum Mann herangereift war, würde er im Enderun des Serails von Topkap ı ausgebildet werden. Er würde sich der gewalttätigen Bruderschaft der Janitscharen anschließen. Er würde fremde Sprachen und Sitten kennenlernen und die vielen Künste des Krieges. Er würde lernen, daß es nur einen Gott gab und Mohammed sein Prophet war. Es würde ihn danach verlangen, im Namen Allahs zu kämpfen und zu sterben. Er würde sein Leben dem Schatten Gottes auf Erden widmen. Dem Padischah des Weißen und des Schwarzen Meeres. Der Zuflucht aller Völker dieser Erde. Dem Sultan der Sultane und König der Könige. Dem Gesetzgeber, dem Prächtigen. Dem Kaiser der Ottomanen, Suleiman Schah.

TEIL I
    T RAUMWELT

S ONNTAG , 13. M AI 1565
Im Kastell St. Angelo – In Birgu – Auf Malta
    So wie Starkey es beurteilte, stellte sich die Lage folgendermaßen dar:
    Auf der größten Flotte seit der Antike hatte sich die beste Armee der Neuzeit eingeschifft. Suleiman Schah hatte sie ausgeschickt, um Malta zu erobern. Sollten die Türken siegen, würde ganz Südeuropa unter die Herrschaft des Islams geraten. Sizilien würde ihnen wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen. Auch eine Rückeroberung Granadas durch die Moslems wäre nicht undenkbar. Rom selbst würde erzittern. Suleimans glühendster Wunsch aber war es, die Johanniter auszurotten – jene einzigartige Truppe von Krankenpflegern und kriegerischen Mönchen, die manche auch die Ritter vom Hospitalerorden nannten und die es selbst im Zeitalter der Inquisition wagten, sich als die »Wächter des Glaubens« zu bezeichnen.
    Die Armee des Großtürken wurde von Mustafa Pascha befehligt, der den Widerstand der Ritter schon einmal gebrochen hatte – bei der Belagerung von Rhodos im Jahre 1521. Seitdem hatte Suleiman, der seine Politik vor allem von der heiligen Pflicht bestimmen ließ, die Welt für den Islam zu erobern, bereits Belgrad, Buda, Bagdad und Täbris eingenommen. Er hatte Ungarn, Syrien, Ägypten, den Iran und Irak, Transsylvanien und den Balkan unterworfen. Fünfundzwanzig venezianische Inseln und alle Häfen in ganz Nordafrika waren seinen Korsaren zum Opfer gefallen. Seine Kriegsschiffe hatten die Heilige Liga vor Preveza vernichtend geschlagen. Nur der Einbruch des Winters hatte ihn vor den Toren von Wien umkehren lassen. Niemand hegte irgendeinen Zweifel, wie der letzte Dschihad Suleimans in Malta ausgehen würde.
    Außer vielleicht einer Handvoll von Rittern.
    Bruder Oliver Starkey, Turkopolier-Leutnant in der englischen Zunge des Ordens, stand am Fenster im Arbeitszimmer des Großmeisters. Von dieser Warte, hoch in der südlichen Mauer des Kastell St. Angelo, konnte er das zukünftige Schlachtfeld ausmachen. Von Berghöhen umgeben, bildeten drei Landzungen die Grenzen des Großhafens, der das Zuhause der seefahrenden Ritter war. St. Angelo ragte an der Spitze der ersten Halbinsel auf und beherrschte die Hauptstadt Birgu. Hier befanden sich die Herbergen der Ritter, das Heilige Hospital und die Ordenskirche San Lorenzo, die Wohnhäuser der Städter, die Hauptkais und Warenlager und all die geschäftigen anderen Einrichtungen einer kleinen Metropole. Zum Festland hin war Birgu durch eine riesige, geschwungene Umwallung abgeschlossen – eine mit Verteidigungsbastionen besetzte Kurtine, auf der es nur so von Rittern und Miliz beim Drill wimmelte.
    Starkey blickte über die Galeerenbucht hinweg auf die zweite Landzunge, L’Isla, wo die Segel von einem Dutzend Windmühlen sich mit eigenartigem und beinahe unwirklichem Gleichmut drehten. Karrees von Milizsoldaten schwenkten dort in Formation. Das Sonnenlicht blitzte auf ihren Helmen. Hinter ihnen stemmten sich nackte Moslemsklaven, die man zu Paaren zusammengekettet hatte, im Rhythmus der Pfeife ihres Aufsehers in die Seile und zogen Sandsteinblöcke an der Außenmauer von St. Michael hinauf, zu der Festung, die L’Isla gegen das Festland abschirmte. Sobald die Belagerung einmal begonnen hatte, würde die einzige Verbindung zwischen L’Isla und Birgu die äußerst verwundbare Bootsbrücke über die Galeerenbucht sein. Im Norden,
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