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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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Sonntags geht es zur Abwechslung für fünf Stunden in die Kirche, ansonsten früh ins Bett, weil man zeitig aufsteht, wenn vor der Schule die Ziegen gemolken werden müssen. Internet gibt’s natürlich nicht, schließlich ist die Gemeinde seit vierhundert Jahren ein funktionierendes soziales Netzwerk. Wer raucht, muss zwei Wochen lang in der Scheune essen, weil die Familie so enttäuscht ist. An Alkohol ist gar nicht zu denken. Aber jedes Jahr im Juli gibt es im Dorf ein großes Fest, und da fährt man dann hin. Dort schenken sie sogar Himbeerbowle aus. Alkoholfrei, aber mit Kohlensäure. Mann, ist das ein Spaß.»
    Carla aß seelenruhig ihr Frühstücksei und sagte lächelnd: «Tja, Papa. Sie haben mir schon geschrieben, dass es Kalifornien wird.» Seitdem bin ich in Panik.

Pubertiernachwuchs
    Manchmal sehe ich ein winziges Licht am Ende des Pubertätstunnels, in dem unsere Tochter wohnt. Carla hat sich zum Beispiel eigenen Beinchenschaum gekauft und lässt mein Rasierzeug in Ruhe. Sie hält sich manchmal an Verabredungen, und die Diskussionen mit ihr werden leiser. Immer seltener gerät sie in pubertäre Wallungen, die mir vorkommen, als spielte sie in einer Nachmittagssendung von RTL   II .
    Neulich polterte sie in mein Büro und wollte wissen, welcher Vollhorst ihr Lieblings-T-Shirt gewaschen habe. Ich antwortete zaghaft, das sei ich gewesen, weil ich dachte, dass sie womöglich gern etwas Sauberes anziehen wolle. Darauf ratterte sie, dass sie es JETZT brauche und nicht dann, wenn ich es getrocknet hätte. Ja, das macht sprachlos, aber es kommt immer seltener vor, was mich hoffnungsvoll stimmt – solange ich vergesse, dass wir auch noch einen Sohn haben.
    «Männer werden sieben, danach wachsen sie nur noch», heißt es in einer Postkartenweisheit, der viele Frauen zustimmen würden. Und ja, zugegeben, es ist etwas Wahres daran. Im Grunde unterscheiden sich erwachsene Männer wenig von kleinen Jungs. Jürgen Klopp zum Beispiel benimmt sich am Spielfeldrand oft so, als würde er gleich seine Rassel auf den Rasen pfeffern. Und wer schon mal in das grenzenlos empörte Talkshow-Gesicht von Gregor Gysi geschaut hat, weiß, was ein Dreijähriger fühlt, den sie in der Krabbelgruppe nicht mitspielen lassen.
    Trotzdem stimmt der Befund nicht ganz, denn im Rahmen der Pubertät finden doch einige Prozesse statt, die man mit sieben Jahren noch nicht kennt und später gern verleugnet: Haarwachstum an den falschen Stellen zum Beispiel, peinliches Eifersuchtsgezeter auf Pausenhöfen und schummriger Engtanz mit möglichst weit ausgestelltem Hinterteil, um nur mal drei der schlimmsten Prüfungen der Adoleszenz zu nennen.
    Bei Carla scheinen die weitgehend absolviert zu sein, sie plant für die Zeit nach ihrem Amerika-Aufenthalt bereits ihren Auszug und ein studentisches Leben, welches ich freundlicherweise mit mehreren tausend Euro monatlich unterstützen möge. Und in dem Maße, wie Carla uns wegläuft, habe ich den vagen Eindruck, dass nun Nick beim Marathonlauf des Lebens in den Abschnitt einbiegt, wo die Pubertät ihn aus der Bahn zu werfen droht. Beispielsweise ändert sich sein Verhältnis zum anderen Geschlecht. Mädchen waren für ihn bis vor kurzem noch doof, uncool und vor allem mädchenhaft. Doch nun wurde uns zugetragen, er trete in der Schule charmant und überaus ritterlich auf, wenn es um Alina gehe. Er sitze mittags neben ihr, ohne etwas zu essen, nur um ihr Gesellschaft zu leisten, hieß es. Und dass er sie vor Nachstellungen anderer Jungs, hart geschossenen Bällen und Regentropfen beschütze. Und dies, obwohl Alina keinen Schutz braucht, weil sie ein ziemlicher Besen ist, genau wie ihre Mutter. Aber das muss er selbst rausfinden, da mische ich mich nicht ein.
    Auch zu Hause bemerken wir eine gewisse Veränderung bei Nick. Er benutzt jetzt ein Deo. Er ist elf, er riecht noch nicht, jedenfalls nicht nach Schweiß. Aber er nebelt sich morgens mit einem Deospray ein, dass einem Hören und Sehen vergeht. Das Zeug riecht wie Siegfried und Roy in einer sächsischen Großraumdisco. Er hat auch ein Duschgel von derselben Marke. Auf der Flasche ist eine mathematische Formel mit drei Piktogrammen abgebildet: Mann + Duschgel = Frau hoch 2 . Das bedeutet entweder, dass man sich mit der Benutzung dieses Produkts die Geschlechtsumwandlung sparen kann oder dass man damit für Frauen um die zweifache Potenz attraktiver wird.
    Nick setzt aber nicht nur auf olfaktorische Effekte. Er verlässt das Haus morgens in einer
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