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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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Jeans unserer Tochter in die Hände. Ich wollte sie waschen und sah in den Hosentaschen nach, ob sie dort irgendetwas vergessen hatte. Unser Pubertier bewahrt darin hochinteressante Dinge auf. Kaugummi, einen Fahrschein, eine Haarklammer, eine SIM -Karte, einen Spickzettel. Tatsächlich. Ich war begeistert, und nun liegt er auf meinem Schreibtisch. Es handelt sich um ein Merkblatt von der Größe eines Streichholzbriefchens, das die Standardgliederung einer Interpretation enthält. Ein Meisterwerk der Verkürzung. Mit diesem Talent könnte sie sofort bei der «Bild»-Zeitung volontieren. Carla hat mit verschiedenen Farben in winziger Schrift notiert, worauf es bei Interpretationen ankommt. Protagonist und Antagonist, Zusammenfassung und weiter unten: «ziebare Schlüsse». Und was zieen wir daraus? Dass der Spickzettel als Medium sämtliche Schulreformen überlebt und noch lange nicht ausgedient hat. Print lebt! Sozusagen.
    Und das, wo man solche Hilfsmittel gar nicht braucht, wenn man sich an den Rat führender Hirnforscher und Gedächtniskünstler hält und sich im Bedarfsfall geschickte Eselsbrücken baut. Im Falle des Zitronensäurezyklus lautet sie: A lle C itronen I m K eller S ind S chon F aules M atschiges O bst. Das steht für: A cetyl-Coa, C itronensäure, I so-Citrat, α- K etoglutarat, S uccinyl-Coa, S uccinat, F umarat, M alat, O xalacetat. Wenn ich das vor 28  Jahren gewusst hätte, wäre ich heute der Herrscher des Universums.

Der geblockte Blog
    Letzte Woche wurde ich zum vierten Mal von meiner Tochter bei Facebook defriended. Drei Mal gelang es mir durch kalkuliertes Wohlverhalten, von ihr begnadigt zu werden. Sie nahm meine Freundschaftsanfragen wieder huldvoll an und wies mich darauf hin, dass ich in Zukunft mein Lästermaul halten müsse und die Konversation mit ihren Freunden nicht mehr durch unbotmäßige Kommentare zu stören hätte. Und am Mittwoch ist es dann passiert. Knappe Nachricht von Carla, dass ich endgültig raus sei, sie habe mich gewarnt, mehr als einmal und damit basta. Was war geschehen?
    Ich muss zugeben, dass ich mich wieder nicht zurückhalten konnte. Ich postete einen Kommentar zu einer Diskussion, in der es um Spießigkeit ging. Carla und die anderen Pubertiere unterhielten sich darüber, welche Eltern besonders, nicht so sehr oder gar nicht spießig seien. Carla postete in diesem Zusammenhang, dass ihr Oller (ich!) neuerdings Hausschuhe trage. Das sei ja wohl das Allerletzte. Achtzehn Heranwachsende taten per «Gefällt mir»-Button kund, dass sie derselben Meinung waren. Und dann schrieb ich leicht beleidigt eben auch was, dafür sind diese Kommentarfelder schließlich da. Ich schrieb: «Ihr seid doch selber alle kleine Spießer.» Tja. Und damit war mein Schicksal besiegelt.

    Und ja: Ich trage Hausschuhe. Ich bin fünfundvierzig und habe kalte Füße. Früher war ich ein Erdkern, jetzt bin ich Ötzi, der tiefgekühlte Alpenopa. Wahrscheinlich lässt die Durchblutung nach. Der Verfall beginnt. Schrecklich. Und denken Sie ja nicht, dass ich stolz auf meine Puschen bin. Ich habe mich lange gegen ihre Anschaffung gewehrt. Sara suchte im Internet nach Modellen, die nicht ganz furchtbar aussehen und trotzdem die Quanten warm halten. Es vergeht kein Tag, ohne dass ich an mir heruntersehe und denke: Himmel Herrgott, wo bist du gelandet? Dann schlurfe ich in die Küche und erfreue mich an der wärmebedingten Beweglichkeit meiner Zehen.
    Vielleicht bin ich halt ein Spießer. Aber wenigstens einer mit warmen Füßen. Die Frage ist doch: Sollte ich lieber ein Leben lang kalte Flossen haben, nur damit ich mir selber sagen kann: «Ich bin ästhetisch unbesiegbar»?
    Für wen die Mühe? Sieht doch eh keiner.
    Ich weiß, wahrscheinlich darf man sich nicht so gehenlassen. Karl Lagerfeld hat einmal gesagt: «Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Aber er ist auch nicht mehr der Jüngste und hat sicher öfter kalte Füße. Er trägt bestimmt warme Puschen. Und was dieser Fächerwilli darf, das darf ich schon lange.
    Nachdem Carla mich entlassen hatte, schrieb ich ihr Mails. Ich jammerte, ich flehte, ich drohte und schickte schließlich zahllose SMS mit der Bitte um Wiederaufnahme, aber sie antwortete nur: «Nein, Papa.» So muss es sich anfühlen, wenn man von den Kindern in ein Altenheim im Hunsrück abgeschoben wird.
    Kurz bevor sich das Facebook-Fenster meiner Tochter für mich schloss, sah ich noch ein Posting von ihr. Sie lud alle Freunde ein, ihren
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