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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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kantigen Bauchmuskeln. Das erinnerte mich sehr an die Abbildungen von Werktätigen im sozialistischen Realismus.
    Carla zog etwa siebzehn Hosen an, während ich «wack» und « ROFL » googelte. Bei «wack» handelt es sich um einen Hip-Hop-Ausdruck für lahm, uncool und einfach richtig scheiße. « ROFL » ist die Chat-Abkürzung für «Ich kugele mich über den Boden vor Lachen». Das hätte ich auch gerne gemacht, aber dafür war der Laden zu voll. Schließlich hatte Carla etwas gefunden. Super Skinny Jeans. Soso. Ich kaufte zwei Stück, und wir fuhren nach Hause.
    Spätabends schickte Carla mir eine SMS aus ihrem Bett. Darin stand: «Knubu Danke Papa Xo.» Ich googelte. Sie teilte mir mit, dass sie mich knuddelte, küsste und umarmte. Ich war gerührt und schickte ihr eine SMS zurück. Darin stand « EWESNMD ». Sie simste sechs Fragezeichen zurück. Die Abkürzung kannte sie nicht. Also schickte ich noch mal die Langform: «Es war ein schöner Nachmittag mit dir.»

Migrationspläne
    Carla will weg. Ganz weit weg. Und ziemlich lange. Unser Pubertier denkt ans Auswandern. Erste Pläne dafür hegte sie bereits im Alter von vier Jahren, nachdem ich aus Versehen in ihre Barbie-Familienaufstellung getrampelt war. Bei der Gelegenheit schnappte sich unser damals noch junger Hund eine Blondine in Bermudas und haute damit ab. Als ich ihn einfing, hatte er ihr bereits das linke Bein bis zum Oberschenkel abgekaut. Barbie sah aus wie nach einem Haiunfall. Ich gab sie unserer Tochter zurück und schlug vor, der Puppe ein Abendkleid anzuziehen. Daraufhin packte das entsetzte Kind einen kleinen Koffer und kündigte an, uns zu verlassen. Carla ging aber nur bis zum Spielplatz, schaukelte eine Weile, aß eine Mandarine aus ihrem Proviant und kam wieder zurück. Das weiß ich so genau, weil ich sie heimlich verfolgt habe.
    Wenn ich das bei ihren aktuellen Ausreiseplänen auch machen wollte, müsste ich ziemlich weit fahren, denn Carla zieht es für ein Jahr nach Amerika. Das hat sie uns bereits vor einigen Monaten mitgeteilt und sich selber darum gekümmert. Zwei Vertreter von auf Schüleraustausch-Programme spezialisierten Unternehmen saßen dann bei uns am Esstisch und brachten uns ihre Modelle von so einem Auslandsjahr näher. Am besten gefiel mir der Teil, wo die Dame von der einen Agentur sagte, man müsse amerikanischen Eltern grundsätzlich erst einmal gehorchen. Man könne hinterher diskutieren und auch Entscheidungen in Frage stellen. Aber nicht vorher. Ich sah zu unserem diskussionsfreudigen Pubertier hinüber und wie es heftig nickte. Ich dachte: Na, das kann ja heiter werden. Für die Amerikaner.
    Schließlich entschieden wir uns für eine Gesellschaft, die im nächsten August zunächst einmal für drei Tage mit den Jugendlichen nach New York fährt, ganz unabhängig davon, wo es diese anschließend hin verschlägt. Was das endgültige Reiseziel innerhalb der Vereinigten Staaten angeht, hat Carla bereits konkrete Vorstellungen, die sie uns gestern beim Frühstück dezidiert mitteilte: Sie möchte nur nach San Francisco. Ihren Gastvater stellt sie sich als berühmten Architekten vor, der wahnsinnig coole Häuser baut und natürlich auch eines davon bewohnt. Eine richtige Familie hat der Mann zwar nicht, aber eine Freundin. Sie ist Asiatin, Mitte zwanzig, heißt Aneko und spielt Bass in einer total hippen Band.
    Carla besucht natürlich tagsüber die Schule, in dem Punkt ist sie sehr entgegenkommend. Am frühen Abend wird zunächst Sushi gereicht, dann chattet sie über Skype mit zu Hause, damit sie die deutsche Sprache nicht verlernt. Das ist ja eine große Gefahr, wenn man so lange weg ist. Später geht sie mit Aneko in irgendwelche Clubs und lernt tolle Leute kennen, also James Franco und so.
    An diesem Punkt musste ich einfach gegensteuern, denn unter solchen Umständen würde sie nie im Leben nach einem Jahr zu uns zurückkommen. Also sagte ich, dass es überhaupt nicht sicher sei, dass sie in Kalifornien lande. Es könne auch auf Kentucky oder North Carolina hinauslaufen. «Und da, meine liebe Carla, gehen die Uhren anders. Womöglich kommst du zu einer sehr netten, aber streng religiösen protestantischen Farmerfamilie. Mit acht Kindern zwischen drei und zwölf Jahren. Jeden morgen läufst du mit den sechs älteren Geschwistern die vier Meilen zur Schulbushaltestelle und singst dabei christliche Lieder. Nach der Schule erwarten dich der Nähkurs und ausführliches Backfischtum im nordamerikanischen Bibelgürtel.
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