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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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aktuelles Idol heißt William Gaines. Das war der Herausgeber des Magazins «Mad». Von Gaines wird erzählt, er habe sich jahrelang in einem Rollstuhl herumschieben lassen, und zwar nicht, weil er gebrechlich gewesen sei, sondern aus reiner Faulheit. Das entspricht genau Carlas Vorstellung von einem perfekten irdischen Dasein. Unser Pubertier kann nicht aufräumen, weil es keinen Bock auf den Stress hat. Sie kann nicht ans Telefon gehen, weil sie das Klingeln unter Leistungsdruck setzt. Sie hätte gerne Salz in der Soße, akzeptiert diese aber auch ungesalzen, wenn sie das Salz selbst holen muss. Sie ist fauler als ein sardischer Esel im August um die Mittagszeit.

    Heute Morgen steht sie abmarschbereit im Flur. Ich sage, dass es klug sei, eine Jacke anzuziehen. Antwort: «Meine Jacke ist oben, und bis ich die geholt habe, ist der Schultag vorbei.» Wir wohnen keineswegs im Parlamentspalast von Bukarest (umbaute Fläche: 365000 Quadratmeter). Man kann eine Jacke holen und innerhalb einer halben Minute zurück sein. Dies allerdings nur, wenn man sich beim Gehen bewegt. Und Pubertiere bewegen sich nicht, jedenfalls nicht sichtbar.
    Carla ist sehr gut im Chillen, Relaxen, Entspannen, Ausruhen, Runterkommen, Zeittotschlagen und einfach mal nix machen. Es handelt sich dabei übrigens nicht um dieselbe Tätigkeit in sieben Varianten, sondern laut Carla um unterschiedliche Verrichtungen, für die mein Verständnis jedoch allmählich schwindet. Carla ist aber der Meinung, dass nicht sie, sondern ich nicht ganz normal sei. Vielleicht hat sie recht. Ich werde mit zunehmendem Alter immer tüchtiger. Eigentlich schrecklich, denn ich kann mich durchaus an Gespräche mit meinen eigenen Eltern erinnern, in denen diese mir «sinnlose Faulheit», «mangelndes Interesse» und «pflanzenartiges Herumlungern» vorwarfen. Ich nahm dies 1980 müde zur Kenntnis und kochte mir einen Tee, um runterzukommen. Ich war mindestens so schlimm wie Carla. Aber das würde ich ihr gegenüber nie zugeben.
    Natürlich weiß ich, dass das alles wieder mit den Hormonen und diesem ganzen Entwicklungsterror zu tun hat. Aber es ist momentan kaum vorstellbar, dass sich aus unserer lethargischen Amphibie eines Tages eine engagierte und flinke Person pellen soll, die der Gesellschaft zum Nutzen und der eigenen Natur zum Trotz Dinge anfängt und zu Ende führt.
    Neulich teilte sie mit, sie könne kein Ei kochen, da sie nicht wisse, wann man es ins Wasser gebe. Ich sagte ihr, man könne es sowohl ins kalte als auch ins kochende Wasser legen. Nach einer Viertelstunde kam sie zurück und fragte, wann denn so ’n Wasser koche. Ich sah nach und stellte dann erst einmal den Herd an. Ich dachte eigentlich, wir wären schon mal weiter gewesen. Ein befreundeter Arzt klärte mich dann darüber auf, dass es sich um ein Paradebeispiel nicht miteinander verknüpfter Synapsen handele. Alles völlig normal.
    Gestern wollte ich gerade ins Bett, als mich ein schwaches Stimmchen aufhielt. Es rief mich. Flehentlich. Ich ging also ins Zimmer meiner Tochter, die im Bett lag und mich mit einem Blick ansah, gegen den sich Bambis Gesichtsausdruck wie der eines Taliban-Anführers ausnahm. Ob ich ihr mal eben die Tasse von ihrem Schreibtisch reichen könne. Sie hatte tatsächlich darauf gewartet, bis jemand an ihrem Zimmer vorbeiging, nur um nicht selbst aufstehen zu müssen. Ich sagte, dass es wohl bei ihr piepe. Sie erwiderte, sie leide am Asperger-Syndrom und sei nicht dazu in der Lage, einfachste Verrichtungen zu erledigen. Ich erklärte ihr, dass sie höchstens unter dem Gaines-Syndrom leide, und erzählte ihr die Sache mit dem Rollstuhl des «Mad»-Herausgebers. Sie antwortete: «Das ist ja sehr interessant. Aber wenn du schon in meinem Zimmer rumstehst, kannst du mir auch die Tasse vom Schreibtisch geben.» Ich war so verdutzt, dass ich es tat. Darauf sie: «Na also. Geht doch.»
    Manchmal fühle ich mich meiner Tochter nicht gewachsen.

Die Tee-Nagerin
    Manchmal ärgere ich unsere Tochter. Ich weiß schon, das ist nicht nett und führt mittelfristig zu Konflikten. Aber es macht nun einmal Spaß, ein Pubertier zu reizen. Sie gehen steil in die Luft und explodieren in den schönsten Farben.
    Zum Beispiel fragte ich sie während der Lektüre des letzten Bandes von Harry Potter bis zu zehn Mal am Tag, ob denn der böse «Lord Waldemar» schon tot sei. «Der heißt Voldemort, Voldemort, Voldemort», kreischte sie irgendwann. Gemein? Vielleicht.
    Oder ich nerve sie mit einem Scherz
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