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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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machten mich die kichernden Gespräche meiner Tochter mit einem Jungen wahnsinnig neugierig. Also schnürte ich vollkommen unauffällig um sie herum, doch Carla versteht es, in Mikrolautstärke zu kommunizieren. Man müsste schon Ohren haben wie eine Fledermaus, um in den Genuss von Einzelheiten zu kommen. Aber was mir an den Ohren fehlt, gleicht mein Spürsinn aus. Ich kann mich in eine mobile amerikanische Abhörstation verwandeln, wenn es der Aufklärung dient.
    Sie werden nun empört einwenden, dass mich das Privatleben meiner Tochter nichts angeht, aber damit liegen Sie nur teilweise richtig. Schließlich könnte ostentatives Desinteresse von Seiten des Vaters später einmal zu herben Vorwürfen und hohen Therapiekosten führen. Diese wollte ich meiner Tochter ersparen und informierte mich deswegen ständig über den aktuellen Status ihres Reifungsprozesses. Dabei half und hilft mir die regelmäßige Lektüre der gängigen Fachpresse.
    Ich stand also in der Küche und blätterte die «Bravo» unserer Tochter durch. Ganz schön fad. Alles voll mit Justin Bieber und Rihanna. Wenn meine Jugend auch so öde gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich heute cracksüchtig. Wie Max Wright. Das ist der Schauspieler, der damals den spießigen Willie Tanner in der TV -Serie «Alf» gespielt hat. Im Internet existieren Fotos von ihm, auf denen er Crack raucht und es mit wilden Burschen treibt. Das hat man davon, wenn man früher zu brav war.
    Nachdem ich alles gelesen hatte, was man wissen muss, um mithalten zu können – Kristen hat eine neue Haarfarbe, Stephenie leidet am Vampir-Burnout, Nick datet Musical-Kolleginnen –, legte ich das Heft beiseite, um Carla zu suchen. Sie saß im Wohnzimmer und telefonierte mit Moritz, bemerkte mich aber nicht. So kam ich in den Genuss folgender Sentenz: «Mein Vater ist auch manchmal so endpeinlich.» Soso. Halt! Vater? Das bin ja ich! Frechheit. Ich hörte weiter zu und wurde Zeuge einer Beziehungsdiskussion.
    Moritz steht offenbar bei unserer Tochter unter Druck. Sie bemeckerte ihn jedenfalls ausführlich, weil er etwas Fürchterliches getan hat. Er hat, während sie ihm etwas erzählt hat, gegähnt.
    In diesem Zusammenhang habe ich kürzlich in der Zeitung einen wunderschönen Namen gelesen: Ponniah Thirumalaikolundusubramanian. Es handelt sich bei Herrn Thirumalaikolundusubramanian um einen indischen Internisten, der sich mit neuen Erkenntnissen zum Thema Gähnen hervorgetan hat, wobei die Länge seines Nachnamens keine Rolle spielte, sondern vielmehr seine Beobachtung, dass das Gähnen offenbar von primitiven Hirnregionen gesteuert wird. Affen gähnen, Hunde gähnen, Fische wohl eher nicht. Ich gähne auch, allerdings achtet mein Gehirn sehr sorgfältig darauf, dass ich nicht zur Unzeit und vor allem geräuschlos gähne. Von primitiv kann bei mir also keine Rede sein. Ich bin ein überaus unprimitiver Gähner, und ich bemühe mich sehr, niemals zu gähnen, wenn meine Frau etwas erzählt. Da könnte sich Moritz mal eine Scheibe von abschneiden: Niemals gähnen, wenn Frauen reden.
    Carla beendete das Telefonat und entdeckte mich hinter der Tür. Und ich, ertappt und daher geistig schwerfällig, wollte ihr Mut zusprechen in schlimmer Zeit und verwendete dafür frisch aus der «Bravo» entlehnte Vokabeln. Ich fragte: «Na? Endkrasser Boy-Alarm?» Sie haute mir ein Kissen auf den Kopf und sagte etwas, was so ähnlich klang wie: «Papa. Schrecklich. Bitte sag so was nie wieder, das ist ja ekelhaft.»
    Die Sache hat sich dann Tage später wieder eingerenkt, und Moritz lud Carla ins Kino ein, was ich sehr klug finde, denn da sieht man nicht so genau, wenn jemand gähnt. Auch diese Wende im Liebesleben meiner Tochter hatte ich im Rahmen einer investigativen Recherche in Erfahrung gebracht, indem ich mir sechs Minuten lang die Schuhe zuband, während sie mit Moritz im Nebenraum telefonierte. Jedenfalls durfte ich das mit dem Kino gar nicht wissen. Ich musste also sehr diplomatisch damit umgehen. Andererseits platzte ich vor Neugier.
    Beim Abendessen schnitt ich das Thema so vorsichtig an wie Barack Obama die Menschenrechtsverletzungen in China, indem ich fragte: «Du, Carla, der Moritz und du, seid ihr jetzt wieder zusammen?» Sie nahm einen Schluck Apfelschorle, legte den Kopf schief und sagte: «Privatsache.» Ich ließ eine Minute verstreichen. «Sag mal, wird da auch schon geküsst?» Sie reagierte empört: «Papa!» Das ist natürlich eine kluge Antwort, denn sie kann bedeuten:
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