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Das Pubertier

Das Pubertier

Titel: Das Pubertier
Autoren: Jan Weiler
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Uhr, die Sonne lacht, jetzt wird aber aufgewacht.» Für diesen allmorgendlichen Satz wird er später zur Strafe nicht im Altenheim besucht. Das hat er davon. Der Versuchsleiter kocht Kaffee und macht sich Notizen zum bisherigen Testverlauf.
    Da der erste Weckversuch offenbar gescheitert ist, betritt er im Dienste der Wissenschaft um 7 : 08  Uhr abermals die Versuchsanordnung. Das Pubertier schläft tief und fest. Nachdem er sich den Weg durch Wäsche, Magazine, Schulkrempel sowie Klamotten und Anziehsachen freigewühlt hat, setzt sich der Versuchsleiter auf den Bettrand und kitzelt das Pubertier am Ohr. Das kann gefährlich sein und wird bisweilen mit Grunzen beantwortet, an anderen Tagen auch mit Beschimpfungen oder ungezielten Schlägen.
    Das abendliche Ernährungsverhalten des Pubertiers muss dringend überprüft werden, um Ursachen für den unterschiedlichen Grad der morgendlichen Unwirschheit bestimmen zu können. Schnipsen gegen die Nase, Finger ins Ohr stecken und an den Füßen kitzeln wird wie immer negativ beurteilt und als Weckmethode vom Pubertier grundsätzlich abgelehnt. Danach ergeht die nochmalige Aufforderung des Versuchsleiters, jetzt aber wirklich endlich dem Tag eine Chance zu geben.
    Um 7 : 14  Uhr erfolgt der dritte Weckversuch mittels Kraulung im Nackenbereich. Dies hat jedoch lediglich wohliges Gurren zur Folge und schlägt ebenso fehl wie mündliche Drohungen um 7 : 18  Uhr.
    Die Ankündigung, das Aufstehen mit kaltem Wasser zu erzwingen, wird von der Probandin frech nachgeäfft. Der Versuchsleiter benetzt daher um 7 : 21  Uhr einen Waschlappen mit kaltem Wasser, den er ins Labor trägt und über dem Pubertier auswringt. Es kommt zwölf tausendstel Sekunden später zu einer überraschenden und geradezu explosionsartigen Aktivität der Probandin, die in einer einzigen Bewegung die Decke zurückschlägt, aufspringt und mit ihrem Kissen nach dem Wissenschaftler schlägt. Dieser weicht zurück und stolpert abermals über das dämliche Ladekabel. Das Pubertier schießt meckernd an ihm vorbei und verschwindet im Badezimmer. Der Versuchsleiter notiert: Das Pubertier hat offene Augen und verbreitet schlechte Laune. Es ist wach.
    Gegen 7 : 29  Uhr ruft der Versuchsleiter nach dem Pubertier und teilt diesem mit, dass das Frühstück auf dem Tisch stehe. Er erwarte das Erscheinen des Pubertiers innerhalb einer Minute, zumal dann auch bald der Bus fahre.
    Um 7 : 33  Uhr erscheint der Versuchsleiter abgenervt im Labor. Das Pubertier hat sich noch mal kurz hingelegt. Der Versuchsleiter bricht den Versuch an dieser Stelle ab, reißt die Bettdecke weg und sagt Dinge, die nicht mit der Würde eines wissenschaftlichen Mandates zu vereinbaren sind. Anschließend steht das bereits angekleidete Pubertier auf und verlässt unter Verwünschungen das Haus.
    Komischerweise hat es noch nie den Bus verpasst. Der Versuchsleiter plant zu diesem für ihn unerklärlichen Phänomen eine weitere Forschungsreihe.

Moritz unter Druck
    Wir spürten deutlich, dass ein kultureller Paradigmenwechsel aufzog, als eines Tages die Pferdebilder weg waren. Das ist ein sehr wichtiger Moment im Leben eines Mädchens, denn bis dahin gehört die weibliche Libido ziemlich uneingeschränkt diesen riesigen Tieren, die mit ihrem Schwanz Fliegen verscheuchen und sehr eindrucksvolle Geräusche machen, wenn man sich ihnen mit einer Möhre nähert.
    Die Vorstellung, auf einem Araberhengst über Weidezäune zu hopsen und in den Sonnenuntergang zu reiten, verblasste allerdings, und schließlich wurde Wendy durch Edward ersetzt, einen mehlgesichtigen und durchaus irgendwie pferdigen Untoten aus der Twilight-Saga. Und der zierte nicht nur Carlas Wände, sondern auch ihren Bildschirmschoner. Dieser zeigte einen Grabstein mit dem Konterfei des leidenschaftlichen Vampirs Edward Cullen, der sich zur Freude aller Mädchen lediglich von Tierblut ernährte und von dem daher keinerlei Gefahr ausging – außer für die Ponys der in ihn verliebten Mädchen.
    Aber nicht nur zweidimensionale Posterboys, auch richtige, echte, lebende Jungen spielten irgendwann eine zunehmend bedeutende Rolle bei uns zu Hause. Leider wurde mir aber zunächst nie jemand vorgestellt, den ich hätte mit peinlichen Fragen grillen können, wohl auch, weil es zu nichts anderem kam als zu Telefonaten. Und da wäre es ja doch seltsam, wenn Carla gesagt hätte: «Du, ich gebe dir mal ganz kurz meinen Papa, damit der fragen kann, welche Partei dein Vater wählt, ja?»
    Natürlich
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