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Das Prinzip Terz

Das Prinzip Terz

Titel: Das Prinzip Terz
Autoren: Marcus Rafelsberger
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Die Patienten in ihren Zimmern wirkten wie Anhängsel der Apparate, von denen sie umgeben waren. Lebensmaschinen, dachte Petzold. Unheimlich.
    Eine resolute kleine Person stellte sich als Schwester Daniela vor.
    »Wollen Sie einen Tee? Einen Kaffee?«
    Petzold lehnte dankend ab.
    »Sie können nicht hinein.«
    »Wissen Sie, hat er irgendetwas gesagt? Bevor er operiert wurde?«
    »Haben Sie den Mann gesehen? Selbst wenn er gewollt hätte, aus seinem Mund wäre höchstens Gurgeln, Stöhnen oder Schreien gekommen. Entschuldigen Sie die drastischen Ausdrücke. Welches Schwein richtet einen Menschen so zu? So sehen normalerweise Opfer eines Autounfalls aus.«
    »Ich weiß.«
    Durch das kleine Fenster in der Tür sah Petzold nur schräg auf das Chromgestell, in dem der Unbekannte lag. Ein weiß einbandagierter Kopf ruhte leicht erhöht. Unter dem Stoff der Decke zeichneten sich die Körperkonturen ab. Erst nach einer Weile erkannte Petzold das flache, regelmäßige Heben und Senken der Brust. Aus den verschiedensten Körperstellen wanden sich Schläuche in die Geräte neben dem Bett.
    Voller Unbehagen fühlte Petzold jene Stellen an ihrem Oberkörper, ihren Unterarmen und Beinen, wo auch bei ihr schon einmal Flüssigkeiten abgeronnen und zugeführt worden waren. Manchmal glaubte sie, es vergessen zu können. Doch die Erinnerung kam immer wieder. Selten war sie auf einen so eindeutigen Auslöser zurückzuführen wie in diesem Moment. Manchmal genügte ein Geruch, ein Laut, ein Lichteffekt. Sie ärgerte sich, dass ihr angesichts des Verletzten ihre eigene Geschichte einfiel. War sie deshalb eine Egoistin? Oder war das ein Reflex? Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken.
    Wer hat dir das angetan, unbekannter Mann?
    Die kalte Atmosphäre des weiß getünchten Raums, die Glasflächen und Metallgeräte, regungslos darin verloren ein Mensch. Festgefroren in der Zeit. Für ihn stand alles still. Petzold hatte von Fällen gelesen, bei denen dieser Zustand Jahre, Jahrzehnte angedauert hatte. Dann waren die Betroffenen plötzlich zu sich gekommen. Zurück in den Fluss der Zeit getaucht. Uhren tickten wieder, Vögel flogen am Fenster vorbei, vertraute Stimmen erklangen.
    Ihre Hände waren zu bewegungsunfähigen Haken verkrümmt. Ihre Beine strohdünn. Viele blieben den Rest ihrer Tage Pflegefälle. Die meisten erwachten nie wieder. Kein Bewusstsein mehr. Auf einmal befiel Petzold das Gefühl, der Zustand sei ansteckend, wenn sie noch länger zusah. Sie musste raus. Sich versichern, dass sie noch lebte.
    Als Petzold die Wohnung vor sieben Jahren gemietet hatte, war das Haus gerade renoviert worden. Zweihundert Jahre nach seiner Errichtung in der Vorstadt »am Spitalberg« hatte es die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs ebenso überlebt wie die Abrisspläne der sechziger Jahre und gehörte heute zum luxuriös sanierten Ensemble des Spittelbergs. Über Jahrhunderte eine Hochburg der Prostitution, war das Viertel heute eines der charmantesten der Stadt. In den nahen Concept Stores fand man die neuesten Kreationen junger Modemacher, in den Cafés hockten junge Menschen vor ihren Laptops, immer neue kleine Läden belebten mit dem Verkauf von Biolebensmitteln, Schokolade, Wein, ausgefallener Kinderkleidung oder Antiquitäten das Straßenbild der Umgebung. Von hier erreichte Petzold zu Fuß mit ein paar Schritten Wiens größte Shoppingmeile, die Mariahilfer Straße, innerhalb einer Viertelstunde war sie in der Innenstadt oder am Naschmarkt. Die zwei Zimmer mit Küche und Bad fraßen die Hälfte ihres mageren Gehalts. Die Parkplatzsituation war verheerend. Im Sommer wich die Hitze nicht mehr aus den baumlosen Straßen. Trotzdem liebte sie diesen Ort.
    Im Stiegenhaus empfing sie eine angenehme Kühle. Sie angelte die Post aus dem Briefkasten. Beim Hochgehen hallten ihre Schritte. Jetzt spürte sie die Müdigkeit. Zur Begrüßung bog Pi ihren Rücken nach oben und schmiegte sich um Petzolds Unterschenkel. Die Katze vibrierte vor Schnurren. Petzold nahm sie hoch und tauchte ihre Nase ins Fell. Genüsslich streckte Pi die Krallen aus und grub sie sanft in Petzolds Schultern.
    Eigentlich hieß das Tier Principessa und war das Überbleibsel einer vergangenen Beziehung. Frederik hatte sie einfach dagelassen, als Petzold ihn hinausgeworfen hatte. Sie war ihm deshalb nicht böse. Wegen vielem anderen. Aber nicht wegen Principessa. Jemand, der sie zu Hause erwartet. Jetzt bin ich also auch so weit, hatte sie beim ersten Mal gedacht. Der Name war
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